Bewundert, gehasst, bespitzelt

Widersprüche ausgehalten: Corinne Holtz hat eine äußerst lesenswerte Biographie der in DDR und Bundesrepublik gleichermaßen umstrittenen und vielfach bespitzelten Regisseurin Ruth Berghaus geschrieben

Mit ihren provokanten und ungewöhnlichen Inszenierungen war sie eine der umstrittensten Personen der DDR. Zugleich stützte Ruth Berghaus als Parteisekretärin die ideologische Kontrolle von Theatermachern in der DDR. Sie war eine Vorzeigekünstlerin, gehörte zum Reisekader. In den 80er-Jahren, noch vor dem Mauerfall, erregten Berghaus-Arbeiten auch in Hamburg an der Staatsoper und am Thalia Theater für Aufsehen. Wohin sie auch kam, die Regisseurin polarisierte, sie wurde bewundert, gehasst und bespitzelt. Das zeigt die erste umfassende Berghaus-Biographie, die die Schweizer Journalistin Corinne Holtz geschrieben hat.

„Wo Widersprüche sind, ist Bewegung, ist Hoffnung.“ Ein Satz von Ruth Berghaus. Ein Hoch auf den Widerspruch, auf das zentrale Anliegen ihrer Theaterarbeit: Widersprüche sichtbar zu machen. Auch wenn die Palucca- und Brecht-Schülerin den Skandal nie im Sinn hatte: Ihre dialektischen Lesarten von Opern und Dramen sorgten für lautstarken Aufruhr im Publikum. So auch 1988, als sie an der Hamburgischen Staatsoper Wagners Musikdrama Tristan und Isolde provozierend anders auf die Bühne brachte. Das nächtliche Liebesduett verlagerte die Berghaus in das Innere einer Schiffsschraube. Und nicht nur hier sangen Titelheld und Titelheldin aneinander vorbei. Im kommenden November und Januar zeigt die Staatsoper diese Inszenierung wieder.

„Wo Widersprüche sind, ist Bewegung, ist Hoffnung.“ Wie sehr dieser Satz von Ruth Berghaus auch für ihr eigenes Leben gilt, das zeigt Corinne Holtz in ihrer äußerst lesenswerten Biographie. Holtz hat das Buch akribisch vorbereitet, in verschiedensten Archiven recherchiert, mit Weggefährten ausführlich gesprochen und die Berghaus-Akte des Ministeriums für Staatssicherheit gründlich ausgewertet.

Auf dieser Grundlage zeichnet Holtz den schillernden Lebensweg der Berghaus nach. Wie sie – 1927 in Dresden geboren – in ärmlichen Verhältnissen aufwächst, im Dritten Reich zum Bund Deutscher Mädel kommt, noch kurz vor Kriegsende NSDAP-Mitglied wird, um dann laut Holtz wenig später eine geradezu „kommunistische Frömmigkeit“ zu entwickeln.

Berghaus war SED-Mitglied, sie galt in Parteikreisen als „gute Kommunistin“. Zugleich irritierte die eigenwillige Künstlerin das DDR-Regime mit ihren widerspruchsvollen, klugen Inszenierungen. Und als umstrittene Intendantin des Berliner Ensembles sorgte sie für frischen Wind und manchen Skandal auf der Vorzeigebühne der DDR. Mit ihrem Ehemann, dem Komponisten Paul Dessau, unterstützte die einflussreiche Theaterfrau zudem unliebsame junge Künstler wie Heiner Müller.

Die Staatssicherheit setzte laut Holtz „eine stattliche Reihe von inoffiziellen Mitarbeitern“ auf die Berghaus an. Die Schweizer Journalistin informiert darüber umfassend, jemanden verurteilen, das tut sie nie.

Breiten Raum gibt Biographin Holtz natürlich der künstlerischen Arbeit von Ruth Berghaus. Wie bereitete sie sich auf eine Inszenierung vor, woraus schöpfte ihre neuartige Opernästhetik? Und auch der Perfektionismus der Regisseurin, ihr Hang zu absoluter Präzision ist Thema. „Kunst ist Ordnung, ist ordnen“, gab die Berghaus knapp zu Protokoll.

Über ihre Arbeit sprach sie gern. Über Privates so gut wie nie. 1996 starb die Regisseurin, ihr Sohn wacht seitdem über den Nachlass. Einblick bekommt nur, wer seine Texte nachher redigieren lässt. Holtz wollte das nicht, deshalb bleibt das Familienleben unterbelichtet. Das schmälert den Wert dieser Biographie aber nicht. Durch eingestreute historische Streiflichter wird sie auch zum Geschichtsbuch. Und was das Wichtigste ist: Corinne Holtz hält sie aus, die Widersprüche im Leben und Wirken der Ruth Berghaus. Dagmar Penzlin

Ruth Berghaus. Ein Porträt von Corinne Holtz. Hamburg 2005. 399 S., 25 Euro