: Evangelisch auf Massai
DOKFILM „Sing it loud – Luthers Erben in Tansania“ untersucht Chortradition als Folge des Kolonialismus
Was für ein spannendes Thema. Denn wer hätte gedacht, dass es gerade im ostafrikanischen Tansania eine stark vom Lutheranismus geprägte Kirchenchortradition gibt? Während der überschaubaren deutschen Kolonialherrschaft haben protestantische Missionare es offenbar vermocht, nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen. Heute boomen Chorwettbewerbe im Norden Tansanias, und seit 60 Jahren veranstaltet die evangelische Kirche ein großes Finale, bei dem die besten Chöre gegeneinander antreten.
Dazu gehört auch das Absolvieren eines Pflichtbeitrags, das heißt das Singen eines traditionellen lutheranischen Kirchenlieds (dieses Mal: „Ein feste Burg ist unser Gott“, gesungen auf Massai!). Eine mittlerweile eher ungewohnte Übung, wie man im Film von Julia Irene Peters und Jutta Feit verfolgen kann, denn eigentlich hat sich der tansanische Kirchengesang längst von den kulturellen Vorgaben der einstigen Kolonialherren emanzipiert. Heutzutage werden die eigenen musikalischen Traditionen auch im kirchlichen Rahmen gepflegt.
Unterschiedliche Milieus
Der Film begleitet ProtagonistInnen aus drei Chören im Vorfeld des Wettstreits. Dabei wird deutlich, dass die Chöre unterschiedlichen sozialen Milieus entstammen. Eine Bäuerin, die im ländlichen Neema-Chor singt, erzählt, dass sie zur Chor-Komponistin geworden sei, seit ihr voriger „Lehrer“ habe aufhören müssen. Da sie die Melodie jedoch nicht habe aufschreiben können, die sie im Kopf hatte, habe sie sich Hilfe holen müssen. Einen großen Kontrast zu der bäuerlichen Umgebung bildet das städtische Interieur, in dem die Protagonisten des Kanaan-Jugendchors zusammenkommen. Der junge Kelvin, der an seinem Keyboard an neuen Arrangements arbeitet, erzählt, er und seine Freunde hätten den Chor gegründet, als sie 15 gewesen seien. Die anderen Chöre seien nur „für die Alten“ gewesen. Ein Blick in die Ensembles scheint den Eindruck von großer sozialer Homogenität zu bestätigen.
Ob das stimmt, weiß man durch flüchtige filmische Anschauung natürlich nicht; und man möchte die Konvention im zeitgenössischen Dokumentarfilm verfluchen, nach der ein erklärender Off-Text als meist bevormundend bewertet und daher vermieden wird. Oft ist es nämlich zu wenig, nur draufzuhalten – gerade bei einem Film wie diesem, in dem die Protagonisten vor der Kamera sehr zurückhaltend agieren und die einzelnen Persönlichkeiten dadurch wenig greifbar werden.
So fehlt es nicht nur an der einen oder anderen Hintergrundinformation, die man gern erfahren hätte, sondern auch an jeglicher narrativen Intensität. Einen derart langweiligen Musikfilm zu machen, das muss man auch erst mal schaffen. Katharina Granzin
„Sing it loud – Luthers Erben in Tansania“. Regie: Julia Irene Peters, Jutta Feit. Deutschland 2017, 80 Min.
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