piwik no script img

Die nascht aus dem Katzenklo

Jugendtheater Cybermobbing nimmt zu, gerade auch unter Kindern. Klarer Fall für das Grips Theater. Das ließ Kirsten Fuchs die Geschichte von Netti, die schrecklich gemobbt wird, erzählen:„Alle außer das Einhorn“

Fever (Amelie Koeder, vorne) postet Gemeinheiten Foto: David Baltzer

von Julika Bickel

„Du Hässlichkeit, ich rasier dich hinten“, liest Netti auf ihrem Handydisplay. Als Schlampe, Hurenkind und Wichskind wird sie in den sozialen Netzwerken beschimpft. Viele der Beleidigungen machen für die Zwölfjährige überhaupt keinen Sinn. Besonders beim Ausdruck „Hodenkobold“ fragt sie sich, was das bedeuten soll. „So was bringt einem ja keiner bei in der Schule“, beschwert sie sich. Kurzerhand findet eine Fantasiestunde in Beschimpfungskunde statt. Lichter blinken, tanzende Lehrer und Kinder sagen auf: „Ein Hodenkobold ist ein Kobold, der in einem Hoden wohnt oder einen überdimensional großen Hoden aufweist oder sich von Hoden ernährt.“

Szenen wie diese sind nicht nur für Jugendliche, sondern auch für Erwachsene extrem lustig. Das Thema des neuen Gripstheater-Stücks „Alle außer das Einhorn“, das sich an Menschen ab elf Jahren richtet, ist allerdings ernst: Cybermobbing. Netti hat ihren Freund Julius, den alle nur Brillo nennen, einmal online im Klassenchat verteidigt. Deswegen ist sie jetzt an der Reihe. Vor allem Fever, ein Mädchen aus ihrer Klasse, veröffentlicht gemeine Posts über sie. Viele machen mit, sogar Julius.

Das Stück hat generell einen sehr klaren Aufbau und gewinnt kontinuierlich an Fahrt. Das Licht im Saal geht an und die Darsteller fordern die Zuschauenden auf, beim Mobbing mitzumachen: „Teil das mal!“ Zwischendurch finden Tanz- und Rapeinlagen zu gutem Techno statt. Das Stück kommt mit wenigen Bühnenelementen aus: Sitzbälle, Handys, Kostüme. Hinten steht eine Wand mit kreisrunden LED-Leuchten, die in verschiedenen Farben blinken und Wörter formen können. Mit Wisch- und Tippbewegungen in die Luft deuten die Schauspieler ihre Aktionen am Smartphone an.

Überraschend ist, und das im positiven Sinne, wie brutal das Stück wird. Die Autorin Kirsten Fuchs und der Regisseur Robert Neumann haben den Mut, die Situation richtig eskalieren zu lassen. Lügen und Hasskommentare verbreiten sich über Netti bei WhatsApp, Snapchat und Instagram. „Sie nascht aus dem Katzenklo ihrer Katze die ganz großen Brocken“, steht da zum Beispiel. „Ich bin so eklig“, veröffentlicht Fever in Nettis Namen. „Ich bin in meine Lehrerin verliebt, weil ich lesbisch bin.“ Bald sind es auch fremde Menschen, die Netti demütigen, bloßstellen und sie bedrohen. Die ganze Geschichte steuert auf das bevorstehende Kostümfest zu, wo sich Netti als Einhorn verkleiden will. „Das Einhorn kriegt aufs Horn“, steht im Gruppenchat.

Den Theatermachern gelingt es, nicht zu belehren. Die sozialen Netzwerke verteufeln sie nicht, sondern zeigen sowohl ihre Risiken als auch Chancen auf. „Gegen das Internet sein ist wie gegen Städte sein“, rappen die Schauspieler.

Stark wird das Stück vor allem durch seine ambivalenten Figuren. Fever ist hinterhältig, abgrundtief böse und falsch. Man erfährt allerdings auch, dass sie früher selbst gemobbt wurde und ihre Gier nach Aufmerksamkeit eigentlich ein Kampf gegen ihre eigene Ohnmacht darstellt. Julius ist eine liebenswürdige, lustige und doch gefährliche Figur: Als tollpatschiger Außenseiter mit wenig Selbstvertrauen wird er zum Mitläufer.

Im Grunde sind alle überfordert: Lehrer, Eltern und die ­Jugendlichen selbst

Besonders witzig sind die überfürsorglichen Eltern: „Hat sie eine Essstörung? Hatte sie zu viel Zucker? Oder zu wenig? Oder den falschen? Oder zu spät am Tag?“ Netti will unabhängig von ihren Eltern agieren, Probleme alleine lösen, aber sie weiß nicht wie und wehrt sich am Anfang kaum.

In einer Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest aus dem Jahr 2016 gibt jeder Dritte in der Altersgruppe der 12- bis 19-Jährigen an, dass in seinem Bekanntenkreis schon einmal jemand im Internet oder per Handy fertig gemacht wurde. Etwa 500.000 Jugendliche in Deutschland wurden selbst einmal Opfer von Mobbing im Internet. Im Grunde sind alle mit der Situation überfordert: Lehrer, Eltern und die Jugendlichen selbst.

Das ist im Stück, das Kirsten Fuchs im Auftrag des Grips schrieb, nicht anders. Was genau hätten die einzelnen Akteure anders machen können? Es kostet Überwindung, um Hilfe zu bitten. Letztendlich geht es darum, sich gegenseitig zuzuhören. Das wird besonders im Streit zwischen den Eltern und Netti deutlich. Die Mutter: „Aber was sollen wir denn dann machen?“ Der Vater: „Und meine Tochter?“ Netti: „Mir vertrauen. Und ihr?“ Mutter und Vater: „Dir vertrauen.“

Wieder im Gripstheater am Hansaplatz 20. + 29. Mai, 18 Uhr.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen