Beim Kellerkick zeigt Hertha Klasse

Fußballfans in der Diaspora: Die Anhänger des 1. FC Köln müssen vor dem Spiel gegen Hertha in den Keller einer Kneipe absteigen, um ihren Helden zuzujubeln. Dafür gab es am Sonntag jedoch wenig Gelegenheit: Hertha schlug Köln 1:0

„Zum 1. FC Köln geht’s runter in den Keller“, sagt der Mann hinter dem Tresen. Die Mitglieder des Fanclubs „Sektion Westpolen“ hören so etwas eigentlich nicht gerne. Aber sie folgen widerspruchslos. Schließlich wird dort unten das Spiel des 1. FC gegen Hertha übertragen. Live, auf Großleinwand, wie jedes Wochenende in der Kneipe „Schwalbe“ in Prenzlauer Berg. Doch ihre demütige Geste wird nicht erhört: Hertha schlägt die Kölner – wenn auch nur knapp – mit 1:0.

Rund 35 Freunde des Aufsteigers vom anderen Ende der Republik sind gekommen. Es gibt Kölsch aus der Flasche, das muss oben geholt werden. Ein Hauch von Zweitklassigkeit? Nein. So fern der Heimat sind Kleinigkeiten wie eine Komplettübertragung auf Großleinwand schon allein ein Grund zur Freude.

Und: Sie sind bester Stimmung. Denn in den ersten zehn Minuten dieser Sonntagspartie läuft alles für Köln. Doch dann passiert, womit niemand gerechnet hat: Hertha spielt richtig gut Fußball und den 1. FC Köln regelrecht an die Wand. Jubel kommt nur auf, wenn Stefan Wessels wieder eine seiner Paraden zeigt, mit denen er die Herthaner zur Verzweiflung bringt. Ansonsten herrscht blankes Entsetzen in der „Schwalbe“, man hofft auf eine bessere zweite Hälfte. Einfach wird das nicht für die Kölner.

Einfach ist es hingegen, den seltsamen Name des Fanclubs zu erklären – zumindest, wenn man Logik Marke Köln etwas abgewinnen kann: „Gladbach nennt man aufgrund der geografischen Lage auch abfällig Ostholland, daher lag die Idee nahe, Berlin als Westpolen zu betiteln“, erklärt Manfred, der Präsident und Webmaster des 2003 gegründeten Fanclubs.

Fußballfantum in der Diaspora ist auch immer Lokalpatriotismus und Brauchtumspflege. „Erst seitdem ich 2000 von Bonn nach Berlin gekommen bin, habe ich das verstärkt ausgelebt“, bekennt Manfred. Ein Blick in die hiesige Fußballlandschaft ergab: „Dynamo ging überhaupt nicht, TeBe war’s auch nicht, Hertha – na ja … Nur Union war noch sympathisch.“ Ein bisschen Union-Fan darf man in der „Sektion Westpolen“ also ruhig noch sein. Die spielen mittlerweile ja sowieso in einer völlig anderen Liga.

Hertha ist hingegen ein direkter Konkurrent: Allerdings lief es auch in der zweiten Halbzeit dieses Bundesligaspiels nicht besser für die Kölner – und ihre Berliner Fans. Bald nach der Pause führte Hertha 1:0, und keiner konnte behaupten, dass das unverdient gewesen wäre. Der Torschütze: Alexander Madlung.

Die FC-Fans waren stinksauer. Sogar aus Volksheld „Prinz Poldi“ wurde der „Sch…-Podolski“. Freunde kam nur noch selten auf – eigentlich nur dann, wenn die Hertha eine ihrer vielen Großchancen ausließ. Unruhig wurde es im Keller, weil immer mehr Kölner Fans immer wieder aufstiegen, um sich ein frisches Bier zu holen. Dass Hertha wie eine Spitzenmannschaft gespielt hat, wurde neidlos anerkannt. Jetzt freuen sich die Kölner auf den Abstiegskampf, auf Grätschen und dreckige Trikots.

Denn die Niederlage trifft die Köln-Anhänger nicht allzu sehr. „Die Spiele gegen Leverkusen und Gladbach nehmen wir wirklich ernst“, betont Manfred. Da geht es schließlich um alte Erbfeindschaften – sprich: Lokalderby! Aber Berlin? „Das ist das Gleiche wie gegen Kaiserslautern oder Nürnberg.“ Einer von vielen Gegnern. LARS KLAASSEN,
ANDREAS RÜTTENAUER