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Die Bayern sind schlagbar

Der HSV beendet die Rekordserie des deutschen Meisters durch ein glanzvolles 2:0. In München nimmt man das nicht weiter krumm. In Hamburg wird dafür eine Pappschale in die Höhe gereckt

AUS HAMBURG CHRISTIAN GÖRTZEN

Sie lagen sich schon zwei, drei Minuten vor dem Schlusspfiff vor Glückseligkeit in den Armen, und den Nostalgikern unter den HSV-Fans standen Tränen der Rührung in den Augen. Die Nordkurve, in der die treuesten der Treuen ihren Lieblingen den Rücken stärken, war längst zur Tanzfläche geworden. Plötzlich war alles so wunderschön, so wie damals, vor mehr als 20 Jahren, als der Hamburger SV unter Trainer Ernst Happel noch ein gleichwertiger Widerpart des FC Bayern München war.

Jetzt, endlich, nach Jahren der Entbehrungen und Enttäuschungen, sehen sie sich beim letzten noch nie abgestiegenen Gründungsmitglied der Fußball-Bundesliga wieder auf Augenhöhe mit dem Rekordmeister – na ja, zumindest fast. Nach dem ebenso beeindruckenden wie verdienten 2:0-Sieg über das Starensemble von der Isar beträgt der Abstand auf Tabellenführer nur noch einen Punkt. „Der HSV ist wieder da“, sangen die HSV-Fans. Mehr oder weniger unverhohlen träumen beim HSV nun alle von der Wiederkehr der guten alten Zeiten, von einer fußballerischen Renaissance.

Die Zahlen und Fakten weisen in diese Richtung. Noch nie gelang dem Hamburger SV ein derart guter Saisonauftakt mit sieben Spielen ohne Niederlage (vor 21 Jahren schaffte es Happel einmal, sechs Spieltage ohne Niederlage zu bleiben). Und es war der erste Sieg gegen die Bayern seit neun Jahren. In den neun Heimspielen zuvor war den Hamburgern gerade einmal ein Tor gelungen. Auch Bayern-Trainer Felix Magath, der 1983 das Happel-Team mit seinem 1:0-Siegtreffer gegen Juventus Turin zum Gewinn des Europapokals der Landesmeister führte, hat Parallelen zur Hamburger Erfolgszeit ausgemacht. „Ich sehe das schon so, dass der HSV wieder an seine erfolgreichen Zeiten anknüpfen kann. Das jetzige Tabellenbild hat schon einige Aussagekraft: Wer nach 7 Spieltagen oben steht, der kann das auch nach 34 schaffen. Der HSV ist ein ernsthafter Konkurrent um die Meisterschaft.“

Magaths Team stand im Spitzenspiel gegen den Emporkömmling aus dem hohen Norden auf verlorenem Posten. Die Mannschaft von Thomas Doll war von Beginn an bestimmend. In der Deckung stand sie – nicht zuletzt dank der Innenverteidiger Daniel van Buyten und Khalid Boulahrouz – so exzellent, dass sich den Münchnern in 90 Minuten nur eine Chance aus dem Spiel heraus bot; Lucio (84.) vergab die große Gelegenheit auf den 2:1-Anschlusstreffer kläglich. Durch Pressing im Mittelfeld, jenes taktische Stilmittel, das Happel einst in Hamburg kultivierte, wurde den erfolgsverwöhnten Bayern ansonsten wenig Raum zum geordneten Spielaufbau gelassen. Für die Münchner kam erschwerend hinzu, dass sie schon früh dem Rückstand hinterherlaufen mussten, bereits nach 10 Minuten hatte Rafael van der Vaart zum frenetisch gefeierten 1:0 getroffen. Danach fanden sie eigentlich zu keinem Zeitpunkt ins Spiel und waren nur bei Standardsituationen gefährlich. Und in der 62. Minute sorgte Piotr Trochowski bereits für den K.-o.-Schlag.

„Es gibt auch andere Mannschaften außer Bayern“, frohlockte anschließend Khalid Boulahrouz. „Wir haben heute bewiesen, dass wir auch ein gutes Team sind.“ Diese Erkenntnis wurde von den Bayern nicht in Zweifel gezogen – im Gegenteil. „Wir sind keine Übermannschaft. Dass unser Team schlagbar ist, hat man heute gesehen“, sagte Bayern- Manager Uli Hoeneß. Trotz der Niederlage blieb der ganz große Frust darüber, dass die Rekordjagd nach 15 Siegen in Folge ein Ende hat, aus. Es herrschte schon fast Erleichterung vor. „Vielleicht ist es ganz gut so, dass wir verloren haben, denn so kommen wir alle mal wieder auf den Boden der Tatsachen zurück“, mutmaßte Münchens Torhüter Oliver Kahn. Danach blickte er sich um, sah die singenden und vor Freude zuckenden Zuschauer und hinterließ dem HSV noch eine Kampfansage: „Die feiern hier schon, als seien sie gerade deutscher Meister geworden. Wir werden ja mal sehen, ob das nach dem 34. Spieltag auch noch der Fall ist.“

Den HSV-Fans genügte derweil der Augenblick. Nach dem Schlusspfiff wurde aus der jubelnden Menge eine Meisterschale aus Pappe in die Höhe gereckt.

Hamburger SV: Wächter - Demel (71. Reinhardt), Boulahrouz, van Buyten, Atouba - Jarolim, Beinlich, Trochowski - van der Vaart (82. Ziegler) - Lauth (68. Mpenza), Barbarez Bayern München: Kahn - Lizarazu (61. Scholl), Ismael, Lucio, Sagnol - Demichelis - Salihamidzic (46. Schweinsteiger), Ballack, Karimi (46. Guerrero), Ze Roberto - MakaayZuschauer: 55.800, Tore: 1:0 van der Vaart (10.), 2:0 Trochowski (62.)

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