Im Archiv gestolpert

Edition Das Bremer Staatsarchiv präsentiert die „Lebenserinnerungen“ von Heinrich Wiegand

H. Wiegand Bild: Staatsarchiv

Er war einer der bedeutendsten Manager der Kaiserzeit, hat die berüchtigte „Hunnenrede“ Wilhelms II. in Bremerhaven live miterlebt und führte den Norddeutschen Lloyd (NDL) bis zu seinem Tod 1909: Der Bremer Jurist und Generaldirektor des NDL, Heinrich Wiegand. Jetzt sind seine „Lebenserinnerungen“ als Edition erschienen und gestern im Bremer Staatsarchiv vorgestellt worden.

Wiegand wurde 1855 in Bremen als Sohn eines Gärtners geboren und absolvierte ein Jurastudium, bevor er zunächst als Anwalt für den NDL arbeitete. 1892 wurde er Direktor der damals zweitgrößten Reederei der Welt. Seine „Lebenserinnerungen“ verfasste er in den Jahren 1907 und 1908 und damit ausgerechnet in der Zeit, als der Norddeutsche Lloyd in erheblichen finanziellen Schwierigkeiten steckte. Obgleich die „Lebenserinnerungen“ von Wiegand ausdrücklich nicht zur Veröffentlichung vorgesehen waren, wollte er die Bewertung seines Schaffens ganz offensichtlich nicht anderen überlassen. Sie sind daher, wie alle Selbstzeugnisse, mit Vorsicht zu genießen. In drei Kapiteln beschreibt er jeweils seine Beziehungen „zum Kaiser“, „zu der Regierung“ und „zu der Stadt Bremen“ – seine Erinnerungen blieben jedoch unvollendet, weil er vorher starb. Ausgerechnet das Kapitel über den NDL fehlt daher. Das Selbstzeugnis ist dennoch eine wichtige Quelle für die Bremer Wirtschaftsgeschichte und reicht in ihrer Bedeutung „weit in die Sozialgeschichte hinein“, wie Archivleiter Konrad Elmshäuser zur Einführung sagt.

Nadja Ofuatey-Alazard

Foto: Michael Bahlo

ist Filmemacherin und leitet als Artist in Residence des Uni-Instituts für postkoloniale Studien ein Projekt, das Wege der Dekolonialisieurng erkundet.

Dass es zu dieser Edition überhaupt gekommen ist, bezeichnet Elmshäuser als „Glücksfall“: Zwei Nutzer des Archivs, die sich eigentlich mehr für Wiegands Freund Admiral Tirpitz interessierten und einer Art „Kriminal-Story“ um ein vor Sizilien gestrandetes Schiff auf der Spur waren, stolperten über das in Kunstleder gebundene Dokument und beschlossen, es komplett zu transkribieren. Der frühere Schiffsingenieur Jochen Kemsa machte sich also an die Arbeit, während der Wissenschaftshistoriker Reinhard Krause eine biografische Einordnung Wiegands beisteuerte. Jörn Brinkhus, im Staatsarchiv unter anderem zuständig für die Bestände aus Wirtschaft, Häfen und Schifffahrt, hat sich der Edition als Herausgeber angenommen und sie wissenschaftlich begleitet. Karolina Meyer-Schilf

Jörn Brinkhus (Hrsg.): „Kaiser Wilhelm II., Bremen und der Norddeutsche Lloyd. Die ‚Lebenserinnerungen‘ des NDL-Direktors Heinrich Wiegand“. 158 S., 13 Euro.