nebensachen aus Paris
: Sichere Steine auf teurem Pflaster

Zu den Dingen, die mir gefallen haben, als ich in die Wohnung im Pariser Osten einzog, gehörten die vielen Einzelhändler im Quartier. Im Umkreis von 200 Metern hatte ich vier Bäcker, drei Metzger, darunter sogar einen mit Pferdefleisch, zwei Zeitungsverkäufer sowie zahlreiche weitere Experten für den Alltagsbedarf. Wenn einer nicht das Richtige hatte, ging ich zum Nächsten. Am Ende fand ich immer, was ich suchte.

Ende der Neunzigerjahre wurden die Ladenmieten zu hoch. Wo ein Einzelhändler ging, zog ein Billig-Bazar nach. Thermoskannen und Heizlüfter aus chinesischer Produktion ersetzten die Lebensmittel in den Regalen. Dann kamen orientalische Teesalons in Mode. Mit Sitzkissen, niedrigen Tischchen und Wasserpfeifen kreierten sie Männerwelten, in denen Frauen nur an Wandfresken vorkamen. Inzwischen sind auch das Auslaufmodelle. Im Umkreis von 200 Metern habe ich keinen einzigen Zeitungshändler mehr und nur noch einen Bäcker. Aber sieben Immobilienagenturen.

Natürlich kenne ich Leute, die eine Wohnung suchen. Ein großer Teil der Pariser ist auf der Suche. 109.000 warten auf eine Sozialwohnung. Noch mehr probieren es auf dem freien Markt. Und wer es sich leisten kann, will kaufen. Erst recht seit dem 11. September 2001. Damals verfestigte sich die Idee, man müsse unbedingt in „Steine“ investieren. „Steine“ seien sicher. Nur wenig später sind Eigentumswohnungen sehr teuer geworden. Dann verschwanden sie plötzlich fast ganz vom Markt.

Gleichzeitig breiteten sich die Immobilienagenturen aus. Sie haben in den Läden alles Schmuddelige und Alte wegrenoviert. Aber anzubieten haben sie wenig. Wo es bis zum Sommer hunderte von Zeitungen und Illustrierten gab, hängen jetzt zehn Wohnungsangebote mit großen Fotos. Von Anfang an prangte auf der Hälfte davon der Aufdruck: „Vendu“ – verkauft. Vermutlich soll das andeuten, dass die Immobilienagentur sehr aktiv und erfolgreich ist. Nebenbei vermitteln sie auch Mietwohnungen.

Meine Freundin Sylvie hat sich für eine solche Wohnung interessiert. Diese ist 25 Quadratmeter groß und mit 650 Euro Miete ziemlich günstig für Pariser Verhältnisse. Sylvies Einkommen liegt mit 1.500 Euro deutlich über dem französischen Durchschnitt. Aber die Agentur suchte eine Person, die das Dreifache der Miete verdient und die Bürgen mit ebensolchen Einkünften vorweisen kann. Sylvie schlug also ihren Vater und ihren Großvater vor. Der Makler verlangte im Voraus eine Jahresmiete auf ein Sperrkonto.

Sylvie ist dann noch fünfzig Meter weiter gegangen. Der ehemalige Pferdemetzger hatte keine Mietwohnung. Bloß neun Verkaufsangebote, davon drei, die Sylvie schon bei seinem Konkurrenten gesehen hatte.

In den Immobilienagenturen sitzen elegant gekleidete junge Leute hinter leeren Schreibtischen. Manchmal kommen sie heraus, um eine Zigarette zu rauchen. Eilig haben sie es nicht. Ihre Vorgänger mussten viele Croissants verkaufen. Die jungen MaklerInnen aber können warten, bis eine der 40.000 leerstehenden Wohnungen im Zentrum der Stadt auf den Markt kommt. Eine einzige bringt genügend Provision, um die Ladenmiete für das ganze Jahr abzudecken.

Im Oktober will der achte Immobilienmakler eine Agentur in meinem Quartier eröffnen. Er hat den Schuster abgelöst und uns schon schriftlich seine Dienste angeboten: Gratis-Schätzung und Verkauf von Wohnungen. Um unsere Schuhe reparieren zu lassen, müssen wir künftig weite Wege gehen.

DOROTHEA HAHN