Glück und Unglück Erzählungen von Anna Gavalda, einer Meisterin der kleinen Form
: Wo schöne Frauen dicke Männer lieben

Ein junger Mann hat es gut im Leben, merkt aber gar nicht, dass er seine Freundin nicht mehr liebt. Ein etwas älterer Mann trauert um einen Hund, den er hat einschläfern lassen, und eigentlich doch um viel mehr. Eine junge Frau lässt in einem Pariser Lokal ihre Handtasche liegen, in der nicht nur sehr viel Geld war, sondern auch der so poetische wie pornografische Liebesbrief eines Exfreundes, den der Finder natürlich lesen wird.

Anna Gavalda fließen sie nur so aus der Feder, solche Alltagserfahrungen, die aus dem einen oder anderen Grund plötzlich larger than life und schicksalhaft für ihre Protagonisten werden. Die Autorin – die vor allem mit der Verfilmung ihres Romans „Zusammen ist man weniger allein“ auch hierzulande sehr bekannt wurde – ist eine Meisterin der kleinen Form. Der kleinen, leichten Form, möchte man spontan hinzufügen, aber so leicht zu lesen diese Erzählungen sich einerseits geben, so sehr geht es darin andererseits ums Eingemachte. Um das ganz große Glück, das ganz große Unglück. Um das Ausbrechen aus dem Unerträglichen, die wagemutige Entscheidung für das Unbekannte.

Die verpeilte Mathilde

„Ab morgen wird alles anders“, der Titel, den diese Erzählungen haben, ist kein wohlklingendes Etikett – da halt auch ein Band mit Erzählungen einen Titel braucht –, sondern literarisches Programm. Ein hemmungslos romantisches Programm, geradezu klischeehaft „französisch“. Vor allem die verpeilte Mathilde mit der verlorenen Handtasche (eine schöne Rolle für Audrey Tautou? Oder nimmt man da inzwischen jüngere Frauen?), die nicht gleich merkt, dass der ­dicke, hässliche Typ, der ihr die Tasche zurückbringt, vielleicht die Liebe ihres Lebens ist, kann man filmreif nennen. Man sieht Ma­thilde gleichsam vor sich, wie sie in flatterndem Kleidchen auf ihrem Fahrrad (namens Jeannot) durch Paris radelt und die Küchen der Edelrestaurants nach einem hässlichen Koch absucht, in den sie sich zu spät verliebt hat. Ach!

Auch das Ausbrechen des jungen Mannes, Yann, aus seiner unerfüllten Pariser Yuppie-Zweisamkeit ist eine solch romantische Befreiungsgeste. Eines Abends zecht er nett mit dem so viel entspannteren Nachbarpärchen (auch hier: eine schöne Frau und ein dicker Mann. Bedient die Autorin etwa gezielt Männerfantasien?), das ihn ganz nebenbei zum betrunkenen Nachdenken über sein Dasein bringt, und am nächsten Morgen ist Yann bereits auf dem Weg in ein anderes Leben.

Anna Gavalda balanciert ihre Plots aber behutsam zwischen märchenhaftem Romantizismus und psychologischem Realismus, auf einer empfindlichen Waagschale, die mal auf der einen, dann wieder auf der anderen Seite etwas schwerer wiegt. Ohnehin ist das Ende in der Regel ganz offen, und auch wenn es gerade auf der romantischen Seite ausbalanciert scheint, bedeutet das nicht, dass das weitere Schicksal der Personen nicht wieder zum anderen Pol ausschlagen kann.

Umgekehrt kann eine durch und durch todtraurige Geschichte wie jene des Mannes mit dem toten Hund durchaus auf einer hoffnungsvollen, zärtlichen Note enden. Unendlich traurig kann Gavalda nämlich auch. Und das so eindrücklich, dass nach einer solchen Erzählung ein bisschen Romantizismus nur gut tut.

„Ab morgen wird alles anders“ ist mit dieser speziellen Mischung aus Glückssuche und Unglücksbewältigung somit vielleicht generell eine ganz gute Umschreibung von Anna Gavaldas literarischem Programm. Zum einen muss es darum gehen, die Vielfalt des Lebens selbst einzufangen. Und zum anderen darum, dem Leben ab und zu ein bisschen auf die Sprünge zu helfen. Denn in der Realität ist das ja oft gar nicht so leicht. Aber auch deshalb hat der Mensch die Literatur erfunden.

Katharina Granzin

Anna Gavalda: „Ab morgen wird alles anders“. Aus dem Französischen von Ina Kronenberger. Hanser Verlag, 304 S., 20 Euro