Heimat Ein Begriff, der viel Interpretationsspielraum zulässt. Ignorieren sollte man ihn allerdings nicht
: Das ewige Sehnen

Der Heimat ein Stückchen näher: Wurstfest in New Braunfels, Texas Foto: Johannes Arlt/laif

Von Volkan Ağar

Was soll dieses taz.meinland überhaupt? Suggeriert „meinland“ nicht einen exklusiven Heimatbegriff, einen beliebten Klassiker im Jargon der Rechten, der im Verbund mit „Nation“ und „Volk“ das Schlimmste befürchten lässt? Eine Freundin konfrontierte mich bei einem Feierabendbier mit dieser Frage: „Und was soll eigentlich dieses Schwarz-Rot-Gold im Logo?“

„Stimmt!“, dachte ich intuitiv. Schließlich war ja auch ich ein Heimatloser, den als Jugendlicher alle mit der unangenehmen Frage nach Heimat genervt haben. Später – nach der Flucht aus der Provinz und der Lektüre heimatkritischer Texte – konnte ich meine gefühlte Aversion auf den Begriff bringen, und dieses Unwort feierlich zu Grabe tragen.

Das Problem Heimat

Dass ich mich in der kleinen, schwäbischen Exindustriestadt, Albstadt, niemals zu Hause gefühlt habe, lag nicht nur an meinem Namen. Es war die Tristesse in einer Stadt, in der sich auch viele andere fehl am Platz fühlten: Rassismus, soziale Segregation, ein schwarz-grün-konservativer Konsens und insgesamt wenig Lebensfreude.

Das Ambivalente unserer Zeit ist einerseits, dass Heimat im engen Sinn – ein Ort, an dem man geboren wird, aufwächst und mit dem man für immer verbunden bleib – heute weniger existiert denn je. Andererseits wächst die Sehnsucht nach ihr umso mehr, desto loser die Beziehung zwischen Menschen und Orten wird. Heimat war schon immer ein Begriff, der ein kompliziertes Menschenleben nicht greifen konnte. Und das Leben zwang Menschen schon immer dazu, mit ihm kreativ umzugehen.

Heute existieren mehr Vorstellungen von Heimat, als es Orte auf der Welt gibt. Manche sagen, „Heimat ist da, wo meine Freund*innen sind“. Andere vermarkten Heimat als Bergkäse, Wurst und Landurlaub. Viele junge Menschen sind stolze Weltbürger*innen und meinen, überall eine pozentielle Heimat zu haben.

So zimmert sich im 21. Jahrhundert jeder seine Heimat zusammen, aus verschiedenstem Material: Orte, Zeit, Erinnerungen und Begegnungen, die in Biografien zusammenfließen. Deshalb, sagt die aserbaidschanisch-jüdische Schriftstellerin Olga Grasnjowa, ist Heimat vor allem eine „Behauptung“.

Ich behaupte, meine temporäre Heimat im kulturellen Wirrwarr Berlins gefunden zu haben. Trotzdem berührt mich jedes Schwäbeln, dem ich begegne, peinlich und es wird mir unerwartet warm ums Herz. Zu hause fühle ich mich bei Menschen, die ähnliche Fragen stellen.

Unerfüllbare Sehnsucht

Heute gibt es mehr Heimatkonzepte als Orte auf der Welt. Trotzdem ist die Frage nach der ­Heimat eine, die sich schwer ­beantworten lässt

Damit ist die Sache aber nicht erledigt, im Gegenteil: Die großen Fragen kommen dann, wenn der ewiggestrige Heimatbegriff entsorgt ist. Sie drängen sich heute so penetrant auf, weil wir in einer Zeit der permanenten Ungewissheit leben. Deshalb haben viele, auch junge Menschen, ein flaues Gefühl im Magen. Je nach sozialer Stellung und Biografie quält das gelegentliche Gefühl der Entwurzelung manche akuter als andere. Heimat wird dann zur unerfüllbaren Sehnsucht nach einem sicheren Hafen, zum Nichtort, den man mit unbegrenzten Bildern gestalten kann. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Was einen engen Heimatbegriff außerdem hinfällig macht, ist eine Moderne, die Differenz voraussetzt. Die Vielfalt ist aber auch immer prekär, für viele mit flauem Gefühl im Magen eine gefährliche Uneindeutigkeit. Sie wird dann unter Umständen zum Bumerang und verursacht Reaktionen, etwa in Form eines antipluralistisches Phantasmas völkischer Art. Nicht zufällig skandieren die Identitären „Heimat, Freiheit, Tradition!“. Ein Zwang zur Eindeutigkeit macht sich breit – verkörpert in den immer gleichen Integrationsdebatten.

Dem kommt man nur mit Ursachenforschung bei: Woher dieser Zwang zur Identität? Georg Seeßlen zitierte in dieser Zeitung kürzlich Ernst Bloch und schrieb, dass Heimat nur auf Grundlage einer wirklichen Demokratie möglich werde. Man muss also fragen: Was steht einer solchen demokratischen Gesellschaft, laut Adorno der „Verwirklichung des Allgemeinen in der Versöhnung der Differenzen“, im Weg? Und wie lässt sich der „bessere Zustand“ denken als der, „in dem man ohne Angst verschieden sein kann“? Klar ist: Einen Weg zurück aus der Uneindeutigkeit gibt es nicht.

Fatal wäre, die Frage nach Heimat zu ignorieren. Deshalb stellt sie taz.meinland in lokalem, regionalem und alltäglichem Maßstab: Was wollen diese Reichsbürger*innen in meiner Stadt? Wieso werden Menschen aus meinem Kiez verdrängt? Weshalb gibt es Rassismus an meiner Schule? Wer auf das eigentlich Erlebte pocht, kann die Spreu vom Weizen, reale Sorgenmacher von pathetischer Panikmache trennen. Dann wird es möglich, ohne regressive Heimatversprechen danach zu fragen, wie sich Menschen sicherer, geborgener zu Hause fühlen können. Und irgendwann muss man sich dann vielleicht auch nicht mehr rechtfertigen für die Heimatlosigkeit.