Das Erbe des Patriarchen

VON BEATE WILLMS

Bernd Osterloh steckt in einer klassischen Beziehungsfalle. Bis heute Abend muss der Betriebsrat der Volkswagen AG entscheiden, ob ein Teil der Belegschaft im Wolfsburger Stammwerk künftig auf die Bezahlung von Pausen, Krankheitstagen, Qualifikationszeiten und Zuschläge verzichtet. Sagt der neue Vorsitzende der Arbeitnehmervertretung Ja, hat er damit der Aufweichung des Haustarifvertrags zugestimmt – und das Tor für weitere Ansinnen der Geschäftsführung geöffnet. Sagt er Nein, geht die Produktion des neuen Geländewagens „Marrakesch“ nach Portugal. So lautet das Ultimatum des Vorstands. 1.000 Arbeitsplätze hängen an dem Auftrag – und für das schwach ausgelastete Werk Wolfsburg ein gutes Stück Zukunft.

Der Marrakesch ist ein Prüfstein für die Kompromissbereitschaft der Beschäftigten. Am Wochenende war unter der Hand aus Unternehmen und Betriebsrat zu hören, „eine Einigung“ – also das Zugeständnis der Arbeitnehmervertreter – sei absehbar.

Der härtere Kurs gegenüber der Belegschaft ist einer von zwei Strängen, mit denen sich Pischetsrieder Spielraum für den strategischen Umbau des Konzerns verschaffen will. Der andere ist die Absicherung vor einer feindlichen Übernahme oder dem Einstieg internationaler Finanzinvestoren, die das Unternehmen auseinander nehmen könnten. Schließlich bröckelt der politische Rahmen, der Volkswagen seit 1960 schützt. Über kurz oder lang wird die Europäische Kommission das VW-Gesetz kippen, nach dem kein Aktionär mehr als 20 Prozent der Stimmrechte ausüben kann. Schon im vergangenen Jahr hatten sich neben dem Land Niedersachsen, das als größter Einzelaktionär 18,2 Prozent der Stammaktien hält, zwei US-Finanzinvestoren in Stellung gebracht: die US-Investmentgesellschaft Brandes Investments Partners mit knapp 11 und die Investor Capital Group Companies mit gut 5 Prozent. Hier ist dem VW-Vorstand unter Vermittlung von Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch nun der große Coup gelungen: Wie Porsche-Chef Wendelin Wiedeking gestern bestätigte, will sein Unternehmen sich mit 20 Prozent an Volkswagen beteiligen. Zusammen mit den 10 Prozent Stimmrechten, die VW selbst hält, hätten die deutschen Anteilseigner damit auf jeden Fall weiterhin das Sagen. An den Börsen kommt die neue Doppelstrategie gut. Im letzten Jahr gewann die Aktie 70 Prozent.

Denn die Volkswagen AG insgesamt ist noch lange kein Sanierungsfall. Zwar ist der Gewinn eingebrochen, lag aber 2004 immer noch bei 1,1 Milliarden Euro. Worum es Bernhard und Pischetsrieder geht, ist, VW zu dem zu machen, was man heute „zukunftsfähig“ nennt, und produktivitäts- und gewinnmäßig mindestens gleichzuziehen mit der Konkurrenz.

Hier hat VW tatsächlich ein Problem. Denn auf neue Produkte kann es nicht hoffen, das Modellfeuerwerk ist gerade abgefeuert. Was jetzt auf dem Markt ist, muss für die nächsten drei Jahre tragen. Bleibt die Konzentration aufs Innenleben des Konzerns. 7 Milliarden Euro will der neue Chef der Markengruppe VW, Wolfgang Bernhard, bis 2008 einsparen. Für die Beschäftigten heißt das weniger Geld, verdichtete Arbeit und mehr Flexibilität. Mehr als 10.000 inländische Stellen sollen wegfallen. Das Management bleibt nicht verschont. Bernhards erster Arbeitstag war der letzte für den Chef der Motorenentwicklung, weitere Topleute werden folgen. „Wenn die Ergebnisse nicht kommen, können wir die Leute nicht in der Verantwortung lassen“, sagt Bernhard.

Es muss ihn wurmen, dass er diese Einstellung an dem Mann, der für die schlechte Aufstellung des Konzerns verantwortlich ist, nicht durchhalten kann Die Rede ist von Ferdinand Piëch. Denn so konstruktiv die Rolle des früheren Vorstands- und heutigen Aufsichtsratschef bei dem Porsche-Deal gewesen sein mag – seinem Nachfolger hat er vor allem Probleme hinterlassen: eine falsche Strategie für den US-Markt, Versäumnisse in China und ein völlig überflüssiges und teures Luxussegment.

Für das US-Geschäft, das Piëch geradezu abgewürgt hatte, hat Pischetsrieder zumindest eine Idee. Als Erstes hat er den verantwortlichen Manager ausgetauscht. Dem neuen zur Seite steht ein Team aus Nachwuchskräften, die „mehr amerikanisches Denken“ einbringen. Diese sollen zunächst in US-Firmen hospitieren, um zu lernen, „was Amerikaner wollen“. Ziel: die Fehler der Vergangenheit auszubügeln. Die Japaner und Koreaner, aber auch BMW und Mercedes hatten in den 80ern sowohl wegen der Marktnähe als auch zur Absicherung gegen Devisenschwankungen eigene Fabriken in den Staaten errichtet. VW dagegen schloss sein Werk, nachdem der dort hergestellte Golf II bei den Amerikanern nicht so gut ankam und sie lieber den in Deutschland gebauten Jetta haben wollten. Dessen Export warf nur so lange guten Gewinn ab, wie der starke Dollar die Fertigung in D-Mark günstig erscheinen ließ. Die Fehlentscheidung kostete VW in den letzten zwei Jahren Eurohoch jeweils einen halben Jahresgewinn.

China scheint für VW eher ein Markt der Vergangenheit als der Zukunft zu sein. 2002 hatte das Unternehmen noch einen Marktanteil von 50 Prozent, inzwischen dümpelt er bei 18. Statt eines satten Gewinnbeitrags muss Pischetsrieder im laufenden Jahr mit einem knappen Minus rechnen. Die Modellpaletten der beiden VW-Joint-Ventures sind schlecht aufeinander abgestimmt – und produzieren am Markt vorbei. Ausgerechnet bei den Chinesen, die großräumige Autos lieben, setzte VW auf den Polo. Und inzwischen hat Partner SAIC angekündigt, eigene Modelle für den Export zu produzieren. Was das für die Zusammenarbeit mit VW bedeutet, ist noch offen.

An das allergrößte Problem scheinen sich derzeit aber weder Pischetsrieder noch Bernhard wirklich heranzutrauen – an die von Piëch eingeleitete Luxusstrategie. Zwar hat Bernhard mehrfach betont, VW wolle vor allem „das tun, wofür VW steht, nämlich Wagen fürs Volk bauen“. Die Kritik am VW-Luxusmodell Phaeton aber weist Bernhard zurück: „Der Phaeton hat eine positive Ausstrahlung auf die Marke VW.“ Die Realität sieht anders aus. Das Luxusmodell ließ sich nicht in Einklang mit dem VW-Image bringen und sorgte eher für Verwirrung: Was nützt ein superschnelles Auto, wenn der Vordermann auf der Autobahn es nicht gleich am Logo erkennt und Platz macht? Mehr als 6.000 Stück pro Jahr, schätzen Branchenexperten, werden sich von dem Gefährt niemals verkaufen lassen. Damit bringt es dem Konzern rund 1 Milliarde Euro an Verlust ein. Kaum besser fährt VW mit der Tochter Bugatti, deren Veyron 16,4 nun endgültig in die Serienfertigung gehen soll. Serie heißt dabei: Von dem 1.001 PS starken Modell werden 300 Stück gebaut. Mehr sind bei einem Stadtverbrauch von 40 Litern, einem Spitzenverbrauch von 100 Litern auf 100 Kilometern und einem Preis von 1 Million Euro nicht zu verkaufen. Einen der ersten Wagen – Bestellung Nummer 7 – bekommt Piëchs Frau Ursula.

Damit hier Grundlegendes passiert, bleibt Anlegern, Beschäftigten und wohl auch Pischetsrieder und Bernhard wohl nichts als hoffen: Piëch hat angedeutet, dass er keine weitere Amtszeit anstrebt. Seine derzeitige läuft im kommenden Jahr aus.