Gegen die Marktgesetze

Bei Lidl muss ver.di draußen bleiben, also sagen die Gewerkschafter den Kunden, wie sich der Discountmarkt aufführt. Vor der Tür gibt‘s dafür Verständnis, im Laden Ablehnung und Angst

„Weiß ich nichts von. Muss ich nichts zu sagen. Interessiert mich nicht.“

AUS BOCHUM JOHANNES SCHNEIDER

Weder Computer noch Rasenmäher oder elektrisch beheizbare Autositze – das Lidl–Angebot ist diese Woche nichts besonderes: Es gibt Longdrinkgläser, Cachaca, Limetten und billige Latino–Pop–CDs. „Das Feuer des Südens“ nennt Lidl das Themenpaket. Trotz Spätsommer und Sonne scheint das nicht zu ziehen: Es ist 16 Uhr und der Parkplatz der Lidl–Filiale im Bochumer Stadtteil Langendreer ist nur halb gefüllt.

„Ihr hättet mal da sein sollen, als die Laptops im Angebot waren. Da war hier die Hölle los“, sagt der Senior aus dem Nachbarhaus und gesellt sich zu den fünf Gewerkschaftern, die vor dem Filialtor Stellung bezogen haben. Unter dem Arm trägt er zwei Holzlatten, Hammer und Nägel, die er nun den Aktivisten reicht. Die versuchen seit Minuten vergeblich, ein Transparent an den Zaun neben der Einfahrt des Lidl-Discountmarktes zu knoten. „So, wie Ihr das macht, wird das doch nix“, sagt er.

„So, wie die das machen, wird das doch nix“, sagen auch andere und meinen damit die gesamte Protest–Aktion. „Ich habe dieses Kärtchen, das die mir da vorne gegeben haben, zwar an der Kasse abgegeben. Aber ich habe zu der Verkäuferin gesagt, dass das wahrscheinlich nichts bringt. Die hat nur müde gelächelt“, sagt Lidl–Kundin Regina Puchner.

Dass symbolische Solidaritätskarten keinen Großkonzern ins Wanken bringen können, wissen auch die Gewerkschafter. Und trotzdem sind die drei Millionen Karten neben Info–Material wesentlicher Bestandteil der bundesweit von ver.di initiierten „Lidl-Kundenwoche“. Mit den Karten soll der Protest in die Filiale getragen werden – dorthin, wo die Gewerkschaft nicht darf: Der ver.di–Ortsverband Bochum–Herne hat hier schon jetzt, zehn Minuten nach der Ankunft, Hausverbot.

Im Lidl selbst ist trotz der in Einkaufswagen eingeschleppten Feindpropaganda zunächst wenig zu spüren von den Aktivitäten vor dem Tor. Die Kunden kaufen unverdrossen, das Lidl–Personal eilt von Regal zu Regal und antwortet auf Fragen nach Butterstandort und Fleischpreisen. Auf andere Fragen antwortet es nicht: „Wir bekommen schon mit, was auf dem Parkplatz passiert, aber ich kann da nichts zu sagen – wirklich.“ Die Verkäuferin, eine schmale Frau, vielleicht Anfang 40, wagt ein gequältes Lächeln.

Für Lidl-Verhältnisse ist das schon sehr mutig, geht man von dem aus, was im Dezember 2004 im „Schwarzbuch Lidl“ öffentlich gemacht wurde: Lidl–Verkäuferinnen und solche, die gefeuert wurden, erzählten aus dem Betriebsleben. Und es waren die immer gleichen Geschichten von Testeinkäufern in Zivil, untergeschobenen Geldscheinen, unbezahlten Überstunden, willkürlichen Entlassungen, Erniedrigungen und Schikanen. Ursache für solchen Zustände ist der quasi rechtlose Status der Lidl-Beschäftigten: Weitaus die meisten arbeiten auf 400-Euro-Basis. Betriebsräte gibt es nur in neun von über 2600 Filialen in ganz Deutschland.

Seit dem Schwarzbuch haben sich die Zahlen kaum geändert: Betriebsräte überleben nur dort, wo Prominente wie der Münchener Oberbürgermeister Christian Uhde als Paten auftreten. Rechtsmittel haben auch die nicht, aber ihre Popularität fungiert als schützende Hand. Eine Lidl–Filiale in Baden–Württemberg wählte einen Betriebsrat ohne diesen Schutz im Hintergrund. Lidl plant nun, die Filiale zu schließen, trotz steigender Umsätze. Im gleichen Ort eröffnet demnächst ein neuer Lidl – mit neuem Personal. Solches Vorgehen erzeugt Angst, auch in Bochum.

„Bloß nicht auffallen“ ist daher das Motto in den Lidl-Märkten. Ein Konzern mit über 5600 Filialen europaweit und einer unorganisierten Belegschaft kann jederzeit kündigen, schließen, freisetzen. Da reicht schon die Präsenz von fünf Gewerkschaftern, um eine unterschwellige Nervosität in eine Filiale zu tragen. Und die äußert sich nicht nur in vielsagendem Schweigen: Der enorme Druck züchtet auch vorauseilenden Gehorsam. Ein Konzern, der überdurchschnittlich viele Kündigungen ausspricht, bietet immer Platz für Nachrücker mit Karrieregeist.

Das 18-jährige Mädchen, das PET–Bierflaschen in das Regal neben dem Eingang sortiert, reagiert ungehalten auf die gewerkschaftliche Solidarität. „Weiß ich nichts von. Muss ich nichts zu sagen. Interessiert mich nicht.“ Sagt‘s und zieht trotz halbvollendetem Stapelwerk von dannen. Keine Minute später kommt sie mit ausgestrecktem Zeigefinger und einem Mann von Mitte 30 zurück. Der sagt sehr freundlich, dass er es nicht wünsche, dass seine Mitarbeiterinnen von der Presse belästigt werden. Er selbst will ebenfalls nicht Stellung nehmen, er sei ja nicht der Verkaufsstellenleiter, der habe schon Feierabend.

Es ist 16.30 Uhr, die „Mitarbeiterinnen“ machen den Laden gerade klar für die letzte Stoßzeit zwischen 18 und 20 Uhr. Der Mann, der nicht der Verkaufsstellenleiter ist, kritzelt noch eine 0800er-Nummer auf einen Zettel, die Nummer der Lidl-Dienstleistungszentrale in Neckarsulm. Die Zentrale verweist ohne weitere Nachfrage an die Agentur „Engel und Zimmermann“. Die Agentur schickt ein Presseinfo, in dem es heißt, man solle sich in den Filialen, durch Gespräche mit den Mitarbeitern, von den guten Verhältnissen überzeugen. Auch das ist typisch Lidl: Wer nachfragt, läuft schnell ins Leere und ist eigentlich immer an der falschen Adresse. Die unübersichtliche Konzernstruktur macht‘s möglich: Der Lidl&Schwarz–Stiftung von Firmengründer und Alleinherrscher Dieter Schwarz gehören mehrere hundert Unternehmen an, genaue Zahlen kennt niemand. Manche Betriebe – wie die Kaufland–Filiale in Castrop-Rauxel – sind sogar eigenständige Warenhandelsgesellschaften. „Vermeidung von überörtlichen Strukturen durch Selbstständigkeit“ lautet das Zauberwort. Ein Albtraum für Gewerkschafter.

Der ver.di-Bezirk Bochum-Herne protestiert derweil unverdrossen vor dem Langendreer‘ Lidl und hat sogar noch Unterstützung bekommen. Mitglieder von attac und dem Eine-Welt-Forum Bochum haben sich auf den Parkplatz gewagt und verteilen dort das Protest–Material. Die Reaktionen sind gemischt. Von „Gut, dass mal jemand was macht“ bis „Für mich hat damals auch keiner den Arsch hingehalten“ ist alles dabei. Eine Kundin nimmt den beiden gleich zehn Broschüren ab. „Ich habe selbst einen kleinen Betrieb, die Sachen sind für meine Mitarbeiter.“ Auffällig ist: Erstaunlich viele Leute zeigen Interesse, kaum einer geht abwinkend vorbei, die meisten wissen auch schon, worum es geht. „Lidl? Ach ja, da war ja mal was, dass die da so schlecht behandelt werden.“ Die Veröffentlichung des „Schwarzbuch Lidl“ und das anschließende Presse–echo haben Wirkung gezeigt.

Bereits um fünf sind alle Broschüren verteilt, die Sonne scheint immer noch und das Widerstandsnest am „Werktor“ ist euphorisch. Attac–Mitglied Ralf Bindel ist besonders gut drauf: „Das ist fast wie damals bei Opel.“ Mit einem kleinen Unterschied: Vor dem Opel-Tor standen vornehmlich Opelaner. Bis es bei Lidl soweit ist, dass Lidl–MitarbeiterInnen mit anderen zusammen für ihre eigenen Rechte demonstrieren, werden noch einige Nadelstiche an dem Konzern abprallen. Vorerst muss es für Gewerkschafter und Lidl–Personal bei heimlichen Begegnungen bleiben: „Ihr wisst gar nicht, wie gern wir hier draußen bei Euch stehen würden“, sagt eine Verkäuferin, die einen Müllsack zum Container trägt. Ihre Worte schiebt sie leise durch die Zähne.