Vereinigungsgedanken (Teil 3)
: „Das war eine Wiedervereinigung der Deutschen – alle anderen wurden ausgeklammert“

Anetta Kahane, 1954 in Ostberlin geboren, war am 3. Oktober 1990 die erste Ausländerbeauftragte des Berliner Magistrats. Genießen konnte sie den Tag nicht

Vor 15 Jahren wurde Deutschland wiedervereinigt – so der offizielle Sprachterminus. Viele jubelten, einige trauerten und manche ängstigte, was aus diesem Land werden könnte. Die taz lässt bis zum 3. Oktober Menschen zu Wort kommen, die damals in Berlin waren und die Atmosphäre in der Stadt beschreiben.

„Am 3. Oktober 1990 haben wir vom Büro der Ausländerbeauftragten aus einen 24-Stunden-Sicherheitsdienst organisiert, aus Angst vor Übergriffen freudetaumelnder Deutscher auf Ausländer. Wir hatten damit bereits schlechte Erfahrungen von anderen Massenveranstaltungen. Auch mit der Polizei war abgesprochen, dass sie besonders die Ausländerwohnheime im Blick hat in dieser Nacht.

Thomas Krüger war damals Innensenator. Mit ihm lief die Zusammenarbeit gut. Unser Büro lag nahe dem Palast der Republik. Aber keiner von uns ist auf die Idee gekommen, sich das Feuerwerk am Brandenburger Tor anzusehen. Ich hatte damals schon genug Erfahrungen gesammelt, um zu wissen, was noch auf uns zukommt. Da konnte ich mich nicht richtig freuen.

Natürlich habe ich das Ende der DDR herbeigesehnt. Ich gehörte nicht zu denen, die die DDR behalten wollten. Aber der Preis, den unsere Ausländer dafür gezahlt haben, war sehr hoch. Es waren ja nicht viele – 160.000, also 1 Prozent der DDR-Bevölkerung. Das hätte die Bundesrepublik damals nicht viel gekostet, die dazubehalten.

Wir haben auch viel versucht, um das in den Einheitsvertrag zu bringen. Wir wollten die Gleichbehandlung von Gastarbeitern und Vertragsarbeitern erreichen. Dass sie dabeibleiben können, wenn sie schon eine gewisse Zeit in der DDR waren. Das wurde uns so was von abgelehnt. Es war nichts Ausländerrechtliches durchzukriegen, auch auf Verordnungsebene nicht. Wir haben nichts erreicht für die Leute, für einzelne schon, aber nichts Grundsätzliches. Plötzlich war der Osten wieder ausländerfrei.

Auch die Bürgerrechtler hatten ja kein Interesse an den Minderheiten. Das konnte ich überhaupt nicht verstehen. Die Türken zum Beispiel hatten sich damals bei der Maueröffnung so gefreut! Aber das hat nur wenige Tage gedauert, dann hatten die Ostdeutschen ihnen gezeigt, wo es langgeht: Jetzt sind wir hier, und ihr könnt verschwinden.

Das war eben eine Wiedervereinigung der Deutschen, das war klar. Alle anderen wurden ausgeklammert. Und die nationalen Deutschtaumeleien sind damals keineswegs unterbunden worden, um das mal vorsichtig auszudrücken. All das Furchtbare, das später passierte, hat sich damals schon angekündigt. Ich will jetzt nicht naseweis sein, aber es gab ein paar hellsichtige Leute unter uns, die vorausgesehen haben, dass sich hohe Arbeitslosigkeit in Folge an den Ausländern entladen wird.

In Berlin gab es eine Sondersituation, der Zuzug der Westberliner Ausländer in den Osten war aber auch nicht so stark. Ich wohnte damals an der Wollankstraße, da war nun plötzlich ein Loch in der Mauer. Drüben der Wedding mit einem sehr hohen Ausländeranteil, aber auf der anderen Seite: nichts. Und das ist heute fast noch genauso. Da gibt’s jetzt vielleicht einen türkischen Gemüsehändler auf der Ostseite. Die Grenze sieht man immer noch. Jetzt wohne ich in Mitte, weil ich an einem Ort sein wollte, wo ich das Zusammenwachsen besser miterleben kann.“ PROTOKOLL: ALKE WIERTH