Medien und Manipulationen in Südkorea: Paranoia im Hightech-Land
Vor der Präsidentschaftswahl in Südkorea fürchten viele digitale Falschmeldungen. Diese bestimmen den politischen Diskurs.
„Natürlich verstehe ich, dass die Regierung alles Mögliche versucht, um eine Beeinflussung der Wahlen zu verhindern“, sagt Hahn Kyu Sup, „aber bei diesem Wahlkampf gehen sie für meinen Geschmack eindeutig zu weit.“ Eine geradezu paranoide Angst vor digitalen Falschmeldungen bestimmt den politischen Diskurs über die vorgezogenen Neuwahlen am 9. Mai.
Bereits im Februar schrieb die linksgerichtete Tageszeitung Hankyeoreh in einem aufgeheizten Leitartikel: „Das Erstellen und Verbreiten von Fake News unterscheidet sich nicht wesentlich von der Propaganda der Nazis. (…) Eine Demokratie kann nicht aufrechterhalten werden, wenn der Staat es zulässt, dass sich Goebbels-mäßige Lügen frei verbreiten können.“
Das Blatt schrieb auch über ein 13-sekündiges Onlinevideo, das bereits Monate vor der Wahl den weiteren Verlauf entschieden geändert hat: Auf den wackeligen Bewegtbildern ist Ban Ki Moon beim Grabbesuch seiner Familienahnen zu sehen. Im konfuzianischen Korea ist dies eine wichtige symbolische Geste.
Ein Glas Reisschnaps am Grab
Dann jedoch beging er in besagtem Video einen gravierenden Tabubruch: Während des Grabrituals trank er ein Glas Reisschnaps, das eigentlich als Opfergabe für die Verstorbenen angedacht war. Die Internetgemeinde empörte sich zu Zehntausenden.
Der Grundkonsens des Aufschreis: Der Diplomat aus New York hätte längst den Draht zu seinem Heimatland verloren. Zuvor führte der UN-Generalsekretär die meisten Umfragen mit weitem Abstand an. Doch der 72-Jährige wurde über Nacht vom Messias zum ausgestoßenen Sohn. Was die meisten Onlinenutzer jedoch nicht wussten: Das Video wurde in einer Falschmontage bewusst manipuliert.
Kim Su yeon, Wahlkommission
„Solche Gerüchte schwächen das Vertrauen in die Medien und staatliche Institutionen“, sagt Kim Su Yeon von der Nationalen Wahlkommission. Ihr Büro befindet sich in einem Funktionsbau im Regierungskomplex Gwacheon, einer Satellitenstadt südlich von Seoul. Mehrere Dutzend Mitarbeiter in grauen Einheitsjacken sitzen dort vor ihren Computern, das Stakkato der Tastaturen bestimmt die Geräuschkulisse.
Regulieren und löschen
Insgesamt leitet die Südkoreanerin Kim eine 185-köpfige Gruppe, die sich ausschließlich darauf konzentriert, Falschinformationen zu regulieren, die gegen das Wahlgesetz verstoßen. Oft geht es dabei um die Familienmitglieder der Kandidaten: Es kursieren beispielsweise Gerüchte, dass der linksgerichtete Politiker Moon Jae In seinem Sohn illegal einen Job bei einer staatlichen Behörde verschafft habe. Bei der Tochter des Konkurrenten Ahn Cheol-soo heißt es, sie hätte eine US-Staatsbürgerschaft angenommen, um Steuern zu sparen.
Kims Cyber-Untersuchungskommission versucht in einem ersten Schritt, der Sachlage auf den Grund zu gehen. Werden Falschinformationen klar als solche identifiziert, würden die Internetprovider zum Löschen der Inhalte aufgefordert. „Handelt es sich um Einzeltäter, bleibt es beim Löschen. Ist jedoch eine gewisse Systematik oder Professionalität bei der Verbreitung von Falschmeldungen zu erkennen, leiten wir auch rechtliche Schritte ein“, sagt Frau Kim. Bislang wird gegen elf Personen ermittelt, 17.000 Inhalte wurden aus dem Netz entfernt.
Das perfekte Paar, das sagten die Freunde. Sie liebten sich, aber er hatte keine Lust mehr, mit ihr zu schlafen. Wie liebt es sich ohne Sex? In der taz.am wochenende vom 28./29. April erzählen die beiden ihre Geschichte. Außerdem: Im Ruhrgebiet werben SPD und AfD um die gleichen Wähler. Und: Superfood ist der neue Fetisch der jungen Spießer. Wieso der Trend jetzt bald zu Ende ist. Das alles am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo
„Im Gegensatz zur Situation in Amerika, wo die Redefreiheit im Grunde gar nicht beschnitten wird, gibt es in Südkorea die Auffassung, dass einige Bereiche reguliert werden müssen“, sagt Kim Su Yeon. Sie macht dabei auf ein grundsätzliches Dilemma der koreanischen Gesetzgebung aufmerksam: In einigen Fällen wird auch berechtigte Kritik an Politikern als Straftat gewertet. Sie wählt ihre Worte vorsichtig, offenbart aber das große Misstrauen in die staatlichen Institutionen, die mit ihrer Überregulierung dafür sorgen könnten, jegliche Opposition mundtot zu machen.
Kaum eine Nation der Welt ist stärker vernetzt
Die Skepsis gegenüber dem Staat wurzelt nicht zuletzt in der letzten Präsidentschaftswahl: Damals haben Mitarbeiter des südkoreanischen Geheimdienstes auf sozialen Netzwerken Tausende gefälschte Profile erstellt, um Wahlwerbung für die spätere Präsidentin Park Geun Hye zu machen. Der Staat war es, der die Fake News produzierte und verbreitete.
Fake News ist ein relativ junger Begriff. Es ist wenig überraschend, dass das Hightech-Land Südkorea besonders unter dem Phänomen leidet: Kaum eine Nation der Welt ist stärker vernetzt, hat schnelleres Internet und eine höhere Smartphone-Penetration.
„Weit über 70 Prozent aller Koreaner beziehen ihre Nachrichten mittlerweile über Internetportale und gehen nicht mehr direkt auf die Seiten der Verlagshäuser“, sagt Professor Hahn. Jüngere Leute würden kaum mehr zwischen klassischen Medien und Einmannwebseiten unterscheiden. So können Falschmeldungen perfekt gedeihen.
Dabei füllen Fake News ein Vakuum aus, das die herkömmlichen Medienhäuser erzeugt haben. Laut einer aktuellen Umfrage des US-Marktforschungsinstituts Edelman trauen nur mehr 42 Prozent aller koreanischen Internetnutzer den traditionellen Medien wie Zeitung, Radio und TV. Vor fünf Jahren waren es immerhin noch 58 Prozent. „Es ist erstaunlich, wenn man darüber nachdenkt, dass die Glaubwürdigkeit der Journalisten während der 70er und 80er vermutlich am höchsten war“, sagt Hahn. Damals wurde Südkorea von Militärdiktatoren regiert, die die Medien des Landes an kurzer Leine hielten.
Journalisten als „Giraegi“
Seit einigen Jahren jedoch werden viele Journalisten als „Giraegi“ verbrämt – dem koreanischen Äquivalent zum „Lügenpresse“-Vorwurf. „Giraegi“-Rufe waren omnipräsent bei den Kerzenscheindemonstrationen im letzten Winter, als jeden Samstag bis zu zwei Millionen Südkoreaner auf den Seouler Gwanghwamun-Platz den Rücktritt ihrer Präsidentin forderten.
Auch unter den Loyalisten der mittlerweile geschassten Präsidentin, die bis heute vorm Rathausplatz auf einem Zeltlager kampieren, hörte man denselben Vorwurf. Unter beiden Lagern eskalierten die verbalen Angriffe auch in physischen Übergriffen gegenüber Journalisten, die ihrer Meinung die Realität bewusst falsch wiedergeben würden.
Die Skepsis fußt nicht zuletzt auf den moralisch verwegenen Standards der koreanischen Presse: Wer die Wirtschaftsseiten der Tageszeitungen aufschlägt, wird mit bezahlten, jedoch nicht gekennzeichneten Advertorials von Samsung und Co. überhäuft. Politische Gerüchte werden oftmals trotz fragwürdiger Quellenlage aufgegriffen, solange es der ideologischen Agenda der jeweiligen Zeitung dient. Bei den meisten Nordkorea-Artikeln gleicht die Frage nach dem Wahrheitsgehalt einem Münzwurf.
Ban Ki Moons Verzicht
Weite Bevölkerungsschichten haben sich daher längst von den herkömmlichen Verlagen abgewandt. Stattdessen teilten sie untereinander zu Zehntausenden in Chatgruppen des koreanischen Nachrichtendienstes KakaoTalk die Nachrichten von Podcastern und Aktivisten.
Darunter mischen sich immer wieder absurde Enten: US-Präsident Donald Trump hätte sich gegen die Amtsenthebung von Park Geun Hye ausgesprochen. Bei den Protesten gegen die Präsidentin hätte die kommunistische Regierung in Peking ihre Hände im Spiel und 60.000 chinesische Studenten in Korea mobilisiert. Oder nordkoreanische Spione würden als Drahtzieher dahinterstecken.
Und diese irrealen Geschichten haben nicht selten reale Folgen: Nur wenige Tage nach dem Shitstorm um das gefälschte Video kündigte Ban Ki Moon an, nicht für das südkoreanische Präsidentenamt kandidieren zu wollen. „Mein purer Patriotismus wurde durch Verleumdungen und Fake News demontiert“, erklärte der 72-Jährige in einer Pressekonferenz.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!