„Ich bin zutiefst besorgt“

Die drei Fragezeichen

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İlhan Cihaner, 49, sitzt für die oppositionelle CHP im türkischen Parlament und war früher Oberstaatsanwalt

1 taz.am wochenende: Herr Cihaner, die türkische Wahlkommission hat jetzt das amtliche Endergebnis des Referendums verkündet. Was bedeutet das?

İlhan Cihaner:Das Ergebnis zu verkünden, ohne all die Bericht­e über Betrug und ­Manipu­la­tion zu untersuchen, ist eine Schande. Vor allem in den östlichen Regionen wurde häufig davon berichtet, dass die Stimmen hinter verschlossenen Türen ausgezählt worden seien, unregistrierte Personen wählen durften und sogar Stimmen bereits Verstorbener abgegeben wurden.

2 Welche Möglichkeiten gibt es jetzt noch, die Entscheidung anzufechten?

Laut Verfassung ist der Spruch der Wahlkommission endgültig. Es gibt kein Gericht mehr, an das man sich wenden kann. Das Verfassungsgericht hat von Anfang an abgelehnt, sich damit zu beschäftigen. Die CHP bringt den Fall jetzt vor den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof. Ich gehe davon aus, dass er den Fall untersucht und zu dem Urteil kommt, dass das Referendum weder frei noch rechtmäßig war. Aber es hat keine Sanktionsmöglichkeit. Wir müssen den Kampf daher auf der politischen Bühne weiterführen.

3 Was wird nun geschehen?

Ich bin zutiefst besorgt: Die Türkei befindet sich in einer Phase, in der Recht und Demokratie immer weniger gelten. Wir sprechen jetzt über eine Türkei, in der die Todesstrafe diskutiert wird und die unter zunehmend autoritäre Herrschaft gerät. Eine Türkei, die sich noch stärker polarisiert; in der die Spannungen zunehmen; die sich von der EU entfernt und sich nach innen kehrt. Ich hoffe sehr, dass wir diese schweren Tage gemeinsam durchstehen.

Interview Ali Çelikkan