Bedarfshaltestelle Langeweile

schauspiel Regisseur Sebastian Kreyer ist zu Tennessee Williams wenig eingefallen. Trotzdem brilliert Matthieu Svetchine in der kleinen Rolle des Mitch

In meiner Badewanne bin ich Tramführerin Foto: Jörg Landsberg/Theater Bremen

von Benno Schirrmeister

Erstaunlich, aber als das passende Tempus erweist sich doch das Plusquamperfekt: Wie eine ferne Erinnerung nur weht noch etwas von Sebastian Kreyers „Endstation Sehnsucht“-Inszenierung herüber. Die hatte am vergangenen Samstag im Schauspielhaus des Bremer Theaters Premiere gefeiert: Die Englischlehrerin Blanche DuBois, auf den Hund gekommener Spross einer verarmten Südstaatenfamilie, findet, infolge sexueller Eskapaden aus ihrer Heimat verjagt, bei den Kowalskys, also ihrem verachteten Schwager Stanley und ihrer Schwester Stella, Unterschlupf. Und Untergang. Das ist grob die Handlung von Tennessee Williams bis heute herrlich quälendem Drama.

In Bremen hatte es jetzt noch bewiesen, dass es auch als Vorlage für einen leidlich amüsanten Abend dienen kann, der eher Bedarfshalt als Endstation ist. Links hinten ein Bett, links vorne ein schmutzig gelber Sessel, in der Mitte ein übergroßer, kreisrunder roter Duschvorhang, fertig war die häusliche Misere der Kowalskys gewesen, für deren Ausgestaltung Tomas Dreißigacker verpflichtet worden war. In die Garnitur hinein war Kreyer zu dem Stück indes nur eingefallen gewesen, es zwar auf zwei Stunden gestrafft, aber brav entlang des mittlerweile 70 Jahre alten Textbuchs so aufzuführen, dass Betty Freudenberg die Hauptrolle der Blanche als virtuoses Bravourstück hatte ausagieren können.

Das war anfangs nett zu sehen, aber begann dann doch auch ziemlich schnell zu ermatten. Ja, es hatte sich gerade durch die Geschwindigkeit der Wechsel und die Geschäftigkeit und den Verzicht darauf, die angetippten Facetten der Figur auszuloten, als langweilig erwiesen.

Vermutlich muss, wer die andauernde Instabilität von Blanches Selbstbild und das Verschwimmen von Realität und ihren Vorstellungen in ihrer Wahrnehmung als Ausgangspunkt nehmen will, dem Wahn der Figur auch Zeit geben, sich zu entfalten. Sie muss Mitleid erregen. Und sie muss Angst machen. Und die Referenz für diesen Ansatz ist die epochale Inszenierung Krzysztof Warlikowskis von 2010, mit Isabelle Huppert als Monster, Wrack und Sexfantasie. Wer sie damals sah, weiß: Die sucht mich noch heim, wenn ich dereinst sterbe.

Matthieu Svetchine erfüllt den verkümmerten Schutzengel mit beeindruckend brutaler Naivität, verschafft durch kleine Gesten Einblick in dessen böse intellektuelle Leere, und denunziert scheinbare Zärtlichkeit als allenfalls ungelenke Geilheit

Bei Freudenburg hatte es gewirkt, als würde versucht, im Benny-Hill-Tempo die zehn DSM5-Kritierien der Borderline-Störung gestisch-mimisch durchzudeklinieren und dabei diverse Perücken und rheinischen und sächsischen Akzent auszuprobieren, während Johannes Kühn als Stanley zwischendurch blank zieht. Zu den besten Szenen hatte, bezeichnenderweise, der Ausflug mit Mitch gehört, ein Militärkumpel von Stanley, der sie möglicherweise heiraten und aus der Misere und der Enge ihres Asyls herausholen könnte: Die Regie hatte die beiden dabei gekonnt ungelenk Rollschuh fahren und fallen lassen.

Diese Szene beeindruckt über diesen netten Einfall hinaus: Weil Matthieu Svetchine den Mitch spielt. Im Grunde ist das ja eine notwendige, aber ziemlich undankbare, verschissene kleine Rolle. Svetchine jedoch erfüllt diesen verkümmerten Schutzengel mit beeindruckend brutaler Naivität, verschafft durch kleine Gesten Einblick in dessen böse intellektuelle Leere, und denunziert dessen scheinbare Zärtlichkeit als allenfalls ungelenke Geilheit. Als dieser jungfräuliche Retter, der noch bei Mama wohnt, schließlich durch eine Denunziation Stanleys von Blanches erotischer Biografie erfährt, verstößt er sie – und versucht doch, ungelenk und plump, sich ihrer zu bemächtigen. Und aus Svetchines Augen glüht die Hölle, die Williams Text zu meinen scheint.

Darüber hinaus hatte Supertalent Tom Plückebaum, der als Zeitungsverkäufer und stumme Lustknabenvision tolle Präsenz entfaltet, sowie Gabriele Möller-Lukasz als schroff-erdige Nachbarin Eunice beglückt. Und überhaupt war am Ende der Eindruck geblieben, dass sich mit diesem Ensemble doch ganz prima Theater machen lassen könnte. Bloß fehlt ihm dabei etwas Gegenwart.

Termine: 7. Mai, 18.30 Uhr; 12. und 31. Mai, 20 Uhr; sowie 15., 17. und 23. Juni, 20 Uhr, Theater Bremen, Kleines Haus