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Vom Denken im Eis

Kunst Auf Spitzbergen wurde ein neues Künstlerstipendium vorgestellt – auch Königin Sonja kam

Eine Schneefahne verwischt die schroffe Silhouette des Bergkamms, milchiger Dunst zieht über den Fjord. Gefrorene Wellen schimmern auf dem Kiesstrand, der übersät ist von winzigen Eiskristallen. Weiß, so weit das Auge reicht. Und Stille. Bis auf das Knarzen der eigenen Schritte im Schnee ist kaum etwas zu hören.

Ein wenig stockt mir der Atem beim Anblick dieser Schönheit. Das ginge vielen so, meinen die Einwohner von Longyearbyen auf Spitzbergen (norwegisch: Svalbard), diesem quirligen Städtchen voll energiestrotzendem Pioniergeist, in dem die Bergarbeiter der letzten Kohlegrube, die bewaffneten Touristenführer (Vorsicht: Eisbär!), Ingenieure und Lehrer im Durchschnitt nur vier Jahre bleiben.

Licht, Stille, Unendlichkeit – Attribute, mit denen auch Königin Sonja von Norwegen in ihrer schwungvollen Rede beim Launch von „Artica Svalbard“ im Frühjahr diese Gegend beschreibt. Sie sei eben Künstlerin, flüstert Magne Furuholmen mir zu, Keyboarder der Band a-ha und selbst Grafikkünstler. Er sitzt im Vorstand des Queen Sonja Print Award und unterstützt somit A K Dolven, Marit Anne Hauan, Kjetil Thorsen vom Board dieses ambitionierten Stipendienprogramms, das vom norwegischen Kulturministerium und drei Stiftungen kofinanziert wird.

Bis zu elf nationale und internationale Künstlerinnen und Schriftsteller erhalten nun jährlich die Möglichkeit, sich drei bis neun Monate lang hier aufzuhalten und sich den Fragen der Zeit zu stellen. Unter den StipendiatInnen des ersten Jahrgangs sind Joan Jonas, Tiina Kivinen, Tauba Auerbach, Carlos Casas, Ahur Etwi, Juni Dahr. Dass die Kunst einen Ort wie Spitzbergen bereichern kann, der vielen mit seinen Bodenschätzen und Landschaften vor allem unter geopolitischen und touristischen Gesichtspunkten interessant scheint, erschließt sich während der Performance von Stipendiatin Mette Henriette.

Ihre auf dem Saxofon erzeugten Geräusche und Soundfelder oszillieren zwischen Abstraktion und Naturerinnerung. Jeder neue Ton, jedes Klangfeld überrascht und regt zum Nachdenken an. Leise Kompositionen fördern einen reflektierten Blick auf dieses Stück Natur.

Das Stipendienprogramm ist als Begegnungs-, Befragungs- und Forschungsplattform gedacht an einem Ort, der nur scheinbar völlig abseits liegt. Spitzbergens Bedeutung für das geologische und ökologische Verständnis der Welt ist Naturwissenschaftlern seit mehr als hundert Jahren bekannt. Höchste Zeit, dass sich hier auch wohl durchdachte kulturelle Forschungsaktivitäten ansiedeln, denn sozioökonomische und politische Machtmechanismen wie auch die Ausbeutung der Natur lassen sich bis zur „Entdeckung“ dieser Region durch Willem Barents (1596) zurückverfolgen.

The edge of the world

Auch wenn der Archipel 1920 im Spitzbergenvertrag Norwegen zugeschrieben wurde, so haben doch theoretisch alle 39 Unterzeichnerstaaten Rechte an diesem günstig zwischen Russland und dem Nordatlantik gelegenen Teil der Welt. Nachdem im 17. Jahrhundert intensiv Wal-, Robben-, Walross- und Eisbärenfang betrieben wurde, dann ausgiebig Kohleabbau, werden nun, in Zeiten der schmelzenden Eiskappe am Nordpol, internationale Interessen auf die hier ­gelagerten Erdölreserven evident.

„Thinking at the edge of the world“ nennt Katya García-Antón ihre Vision. Sie leitet das Osloer Office of Contemporary Art (OCA), das neben dem norwegischen PEN und dem Queen Sonja Print Award StipendiatInnen nach ihrer Fähigkeit auswählt, mit den Menschen vor Ort in einen produktiven Dialog zu treten.

Ein Beispiel: Künstlerin A K Dolven spricht in einer Druckwerkstatt mit Benjamin Vidmar, einem Koch aus Florida, der mit Geduld und Einfallsreichtum im ewigen Eis ein Gewächshaus installiert hat, um frische Lebensmittel anzubauen. Er freut sich auf Kooperationen mit den Künstlern und zerstreut so auch die Sorge, „Artica Svalbard“ könne Teil des Touristenrummels werden, an dem Spitzbergen verdient und leidet.

Svalbards neuester schräger Coup: eine globale Kulturdatenbank, die digitale Informationen auf Film gespeichert im Permafrost lagert. Wie steht es bei Brecht? „Nach dem Nördlichen Eismeer zu / sehe ich noch eine kleine Tür“. Gaby Hartel

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