Abstieg jetzt!

DEBATTE Der Soziologe Oliver Nachtwey und seine Studie „Die Abstiegsgesellschaft“

Die Glanzzeiten des Wohlstands sind vorbei; aus Gesellschaften des Aufstiegs und der Integration wurden Gesellschaften des Abstiegs und der Polarisierung. Statt im kollektiven Fahrstuhl in Richtung „Nivellierung nach oben“ zu steigen, hetzen immer mehr Menschen nach oben – auf einer nach unten rollenden Fahrtreppe. An die Stelle einer „sozialen Moderne“ ist eine „regressive Modernisierung“ getreten, Fort- und Rückschritt zugleich: Zwar nimmt die Gleichberechtigung zu – etwa von Frauen auf dem Arbeitsmarkt –, aber eben auch die soziale Ungleichheit.

So lautet, grob geschnitzt, der Befund von Oliver Nachtwey. Kaum ein soziologisches Buch ist im vergangenen Jahr so viel gelobt worden wie dessen Studie „Die Abstiegsgesellschaft“ (Suhrkamp 2016, 264 S., 18 Euro): Kompakt sei sie und klug, verständlich, empirisch fundiert und in sich stimmig.

Bis auf den letzten Punkt mag man zustimmen. Aber gerade da, wo Nachtwey den Befund zum Begriff erheben möchte, widerspricht das empirische Material der verallgemeinernden Schlussfolgerung. Das gibt Nachtwey selbst zu: Individuelle Abstiege seien kein Massenphänomen und das Aufsteigen mitnichten unmöglich. Praktisch interessant wird es, wenn er von einer Abstiegspanik spricht, die in der Mittelschicht zunehme, obwohl ihre Stabilität gar nicht bedroht sei. Dann nämlich plädiert Nachtwey für einen „linken Populismus“, der „die Ängste der Bürger ernst nimmt“.

Ob das Ernstnehmen von Sorgen aber wirklich ein fruchtbarer Ansatz für linke (Praxis-)Debatten ist, ob Nachtweys Schlussfolgerung angemessen ist und ob in seiner These vom allgemeinen Abstieg nicht eine romantische Verklärung von Vergangenem steckt, darüber spricht Nachtwey am Montag mit einem, der berüchtigt ist für seine Zweifel und Widersprüche: dem Gesellschaftskritiker Thomas Ebermann. MATT

Oliver Nachtwey diskutiert mit Thomas Ebermann: Mo, 10. 4., 20 Uhr, Polittbüro

Buchvorstellung (Moderation: Brigitte Preissl): Di, 11. 4., 17 Uhr, ZBW, Neuer Jungfernstieg 21