Politik, Sex und Crime: „Happy Valley“ und „Baron noir“
: Wahrscheinlich sollte man alles zu seiner Zeit genießen

Die Couchreporter Heute: Jenni Zylka

Eskapismus oder Realitätsnähe? Hach, ich weiß doch auch nicht, was besser ist. Zum Beispiel „Happy Valley“, eine britische Serie, in der ein Mann aus dem Gefängnis entlassen wird, der 1. die Tochter der Protagonistin (Polizistin) vergewaltigt hat, worauf sich 2. jene Tochter umbrachte, vorher aber 3. ein aus der Vergewaltigung resultierendes Kind gebar, um das sich 4. die Polizistin nun als Großmutter kümmert, sodass die Freilassung des Gewalttäters 5. bei ihr dazu führt, ihm in Fargo-Manier aus verständlichen Gründen (siehe 1., 2., 3., 4.) Übles antun zu wollen.

Das Ganze lief auf Deutsch im WDR und jetzt im Original bei Netflix. Die Serie ist allerdings derart überragend gespielt, britisch genau beobachtet und Working-Class-affin, dass man mit tränennassen Augen hinter Wackelkamera und Polizistin durch West Yorkshire läuft und sie am liebsten die ganze Zeit trösten würde.

Entspannend ist das nicht, aber großartig. Sozusagen kathartisch. Eben jenes „Fargo“ dagegen, neue Staffel ist gerade angelaufen, hat mindestens genauso wahnsinnige Handlungsstränge – aber hier muss man sich keine Sorgen machen, nicht weinen, nicht trösten – nur staunen und kichern. Und dann Ewan McGregor in dieser Doppelrolle – herrlich.

Wahrscheinlich sollte man alles zu seiner Zeit genießen. „Baron Noir“ jedenfalls, die französische Serie von Canal + über einen Coup im Präsidentschaftswahlkampf, könnte kaum zu einem besseren Zeitpunkt laufen (seit gut zwei Wochen im Sony Channel, und im Mai als Kaufbox zu erstehen). Das macht es aber auch fast redundant: So realistisch spielt der „Willkommen bei den Sch’tis“-Star Kad Merad den Bürgermeister Dünkirchens, Philippe Rickwaert. Hier werden Verrat, Machtbesessenheit, Lügengebilde und miese Intrigen in der Politik so glaubhaft dargestellt, dass man kaum noch Lust drauf hat – vor allem angesichts des aktuellen französischen Wahlklumpatsches.

„Wahrer als wahr“ hatte der Figaro die Serie angeteast, deren zweite Staffel gerade gedreht wird, und die sich erstaunlicherweise dennoch sehr von ihrem US-Vorbild „House of Cards“ unterscheidet – obwohl es bei beiden die nötigen, im wahrsten Wortsinn großen Fallhöhen gibt (zu Anfang von „Baron Noir“ stürzt sich jemand in den Tod). Doch „House of Cards“ ist einfach vergnüglicher.

Und dass dann auch noch „die dicke fette Liebe erwacht“ (Grips-Theater), tut der Geschichte insofern nicht gut, als dass das Love Interest des Herrn Rick­waert ausgerechnet von Schauspielerin und Model Anna Mouglalis dargestellt wird. Die hat zwar die verraucht-verruchteste Stimme, die eine Französin haben kann, aber so realistisch Merad mit seiner Halbglatze, den tränensackigen Dackelaugen und dem Bart wirkt, so abgehoben überschön wirkt Mouglalis als Amélie. Sie ist erst enge Vertraute des Gegenspielers, später Rick­waerts Geliebte und somit irgendwie wieder im Menage-à-trois-Thema gefangen.

Nein, „Baron Noir“ ist mir im Moment einfach zu echt, und das kann ich mir nicht auch noch in meiner Freizeit ansehen. So sind sie nämlich womöglich wirklich, die Herren Politiker, die sollen doch / sollen doch / sollen doch / nach Hause gehen / die wollen nur unser Geld / alle / alle / alle wie sie da sitzen (Helge Schneider).