brüsseler spitzen
: Wenn es ernst wird

die eu-parlaments-kolumne

von Eric Bonse

Wenn es Wahlen gibt, muss man lügen. Nein, das hat Jean-Claude Juncker nie gesagt. „Wenn es ernst wird, muss man lügen“ – so lautet das Zitat, mit dem der Chef der EU-Kommission auf dem Höhepunkt der Eurokrise Furore machte. Aber irgendwie passt es auch jetzt wieder.

Denn es ist ernst, es gibt Wahlen, und es wird viel gelogen. In der Türkei, in Frankreich, in Großbritannien. In der Türkei heißt es, die EU unterstütze den Terror. In Frankreich heißt es, die EU sei an allem schuld. Im UK heißt es, wer gegen den Brexit ist, sei ein Saboteur.

Es wird so viel gelogen, dass Juncker alle Hände voll zu tun haben müsste, um alles richtigzustellen. Doch das tut er nicht. Er legt sich nicht mit Erdoğan an, nicht mit Le Pen, auch nicht mit May. Er umarmt sie alle – auf seine Art.

Dienstag im Pressesaal der EU-Kommission. Junckers Sprecher Margaritis Schinas soll sich zum Türkei-Referendum äußern. Was sagt er zum Vorwurf der Wahlfälschung? Die Behörden sollten eine „transparente Untersuchung“ einleiten. Das ist alles. Dann geht es um Frankreich. Hat die EU-Kommission Angst vor einem Wahlsieg Le Pens? Wieder keine klare Ansage. Man wolle sich nicht in eine nationale Debatte einmischen, so ­Junckers Sprecher. Auch zum Wahlcoup in Großbritannien sagt er nichts. Dabei geht es ums Ganze.

Wenn es ernst wird, muss man schweigen – das scheint Junckers neue Devise zu sein. Erstaunlich: Bei seiner Wahl 2014 hatte er eine „politische Kommission“ versprochen, die „Kommission der letzten Chance“ vor dem drohenden Untergang der EU. Nun ist der Untergang zum Greifen nah. Die Briten sind raus, die Türken verhöhnen Europa, die Franzosen flirten mit Extremen. Doch die Brüsseler ­Behörde gibt sich plötzlich unpolitisch.

Die Erklärung liegt nahe: Juncker möchte nicht schuld sein, wenn es schiefgeht. Schon vor einem Jahr, nach dem Brexit-Votum, hieß es in Berlin, der Luxemburger sei schuld. Dabei hatten die EU-Gegner auf der Insel vor allem die deutsche Flüchtlingspolitik für ihre Lügenkampagne missbraucht. Wenn es in Europa einen Schuldigen gab, dann war es ­Angela Merkel.

Jetzt sind auch in Deutschland Wahlen, und Juncker möchte es sich nicht mit der Kanzlerin verscherzen. Die Türkei, Frankreich, Großbritannien – alle sind wichtig für die Chefin des deutschen Europa. Also sagt er nichts und lässt die Lügen stehen. Wenn es ernst wird …