Urteile im Madrider Al-Qaida-Prozess

Im bisher größten Verfahren wegen der Anschläge von New York fallen die Strafen verhältnismäßig milde aus.Der Vorsitzende Richter kritisiert die Arbeit der Ermittlungsbehörden. Damit bricht das Gerüst der Anklage zusammen

Die Staatsanwaltschaft forderte Strafen von 74.000 Jahren für drei Angeklagte

MADRID taz ■ Weit entfernt von dem von der Staatsanwaltschaft geforderten hohen Strafmaß von zum Teil über 74.000 Jahren Haft hat der spanische Nationale Gerichtshof gestern in Madrid vergleichsweise milde Urteile gefällt. Im bisher größten Al-Qaida-Prozess wurde der syrische Hauptangeklagte Abu Dahdah als Chef der spanischen Al-Qaida-Zelle und für seine Mitarbeit bei den Attentaten vom 11. September 2001 in New York zu 27 Jahren verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte 74.337 Jahre gefordert. Sechs der 24 Angeklagten wurden freigesprochen.

Der Vorsitzende Richter Javier Gómez Bermúdez kritisierte während der Urteilsverkündigung die Arbeit der Ermittlungsbehörden. Die richterlich nicht genehmigten, von Untersuchungsrichter Baltasar Garzón in der Anklageschrift aber berücksichtigten Telefonmitschnitte seien ein Beispiel dafür, wie man nicht vorgehen dürfe, sagte er. Die Aufzeichnungen, in denen die Angeklagten Garzóns Version zufolge in Codewörtern die Anschläge vom 11. September 2001 besprechen, wurden im Urteil also nicht berücksichtigt.

Damit brach das Gerüst der Anklage zusammen. Die Staatsanwaltschaft hatte für jeden der drei Hauptangeklagten Strafen von über 74.000 Jahren gefordert, weil sie es für erwiesen hielt, sie hätten die Anschläge von New York von Spanien aus vorbereitet. Sie hätten sich somit am Mord an 2.500 Menschen schuldig gemacht. Das Gericht bestreitet zwar nicht, dass es in Spanien Treffen gab, bei denen die Todesflüge vorbereitet wurden. Aber eine tatsächliche Beteiligung an den Planungen hält es nur bei Abu Dahdah für erwiesen. So ist der zweite Hauptangeklagte, Driss Chebli, nur zu sechs Jahren wegen Zusammenarbeit mit al-Qaida verurteilt worden. Der dritte Hauptangeklagte, Abu Musab, wurde freigesprochen. Bei ihm stützte sich die Anklage auf Filmaufnahmen, die er vom World Trade Center gemacht hatte.

Taysir Alony, Korrespondent des Fernsehsenders al-Dschasira, hält das Gericht in seinem Urteil zwar für einen „sehr eifrigen Journalisten“, aber nicht für einen Terroristen. Um an Informationen zu kommen, habe er sich jedoch zu zu großer Nähe zum Al-Qaida-Apparat hinreißen lassen und dessen Mitgliedern in Afghanistan insgesamt 4.500 US-Dollar überbracht. Das reichte zwar nicht für eine Verurteilung wegen Mitgliedschaft bei al-Qaida, aber auch so muss Alony nun für sieben Jahre in Haft.

Die Staatsanwaltschaft hatte „eine beispielhafte Strafe“ gefordert. Die Welt schaue auf dieses Gericht, hieß es in ihrem Plädoyer. Angesichts der vor dem Hintergrund des baskischen Terrors gewöhnlich harten spanischen Rechtsprechung glaubte kaum jemand, das Gericht könne Beweismittel wie abgehörte Telefonate zurückweisen. Ein Vertreter der Staatsanwaltschaft zeigte sich trotzdem zufrieden. Das Urteil zeige, dass die Justiz für den Kampf gegen den internationalen Terror gerüstet sei und weder Kriege noch Internierungslager wie in Guantánamo notwendig seien. HANS-GÜNTER KELLNER