Selfies vor der KZ-Baracke

GEDENKEN Sergei Loznitsa hat sich mit den Besucherströmen in deutschen Gedenkstätten beschäftigt. Seine beinahe meditative Dokumentation „Austerlitz“ entlarvt nicht, sondern fragt

Erinnern Sie sich an Adam „Adolek“ Kohn? Der Mann war vor sieben Jahren eine mittlere Internetsensation wegen eines Videos, das seine Tochter, die Multimediakünstlerin Jane Korman gedreht und später online gestellt hatte: „Dancing Auschwitz“ zeigt einen alten Mann – Kohn war damals 89 –, der in KZ-Gedenkstätten zu Gloria Gaynors Mainstream-Disco-Hit tanzt, begleitet von seinen anfangs etwas verschämt wirkenden Enkelkindern und am Leib ein T-Shirt mit dem Wort „Survivor“ darauf, „Überlebender“.

Genau so einer war Kohn: Als junger Mann waren er und seine Frau knapp der nationalsozialistischen Mordmaschinerie entkommen. Gut sechs Jahrzehnte später konnte er dorthin zurückkehren – als Tourist, wie es gerade nach Auschwitz so viele Menschen tun, längst nicht nur Überlebende und ihre Nachfahren. Dass nicht durchweg diese Sicht geteilt wurde, dass „Geschmacklosigkeit“ und Schlimmeres beklagt wurden, kann nicht überraschen – auch nicht, dass unter denen, die da klagten, etliche Täternachkommen gewesen sein werden.

Um Pietät und Lebensfreude, um angemessenes Verhalten und Schrecken, die vielleicht schlicht nicht zu vermitteln sein könnten, geht es Sergei Loznitsa: Der Filmemacher hat es als „das größte Mysterium“ bezeichnet, was genau es sei, das Menschen dazu bringe, ihre Sommerwochenenden in ehemaligen Konzentrationslagern zu verbringen und Öfen und Krematorien anzuschauen. „Um es zu verstehen, habe diesen Film gemacht“, sagt er.

Im Hochsommer, ausgerechnet, hat er in mehreren früheren KZs gedreht. Im fertigen Film sind die Gedenkstätten Dachau und Sachsenhausen Schauplätze, Loznitsa zufolge der „Mainstream“. Dabei verweigert er jede allzu schnelle, und eigentlich überhaupt irgendeine Antwort. Zuallererst zeigt Loznitsa nämlich Bilder: statisch wirkend, in Schwarz-Weiß.

Im Gespräch mit der taz hat er erzählt, wie sehr ihn das Verhalten vieler Gedenkstätten-Besucher irritiere – dass sie also lachen und essen und immer wieder sich selbst an den Orten des Todes fotografieren. Neben solcher „Respektlosigkeit“ stellt Losnitza aber auch das Ganze infrage: Weder lerne durch so einen Besuch irgendwer wirklich etwas über die Vernichtung, noch bewahrten solche Orte die Welt davor, dass sich Geschichte wiederhole.

Angesichts dessen mag es überraschen, wie subtil sein Film vorgeht: Sicher – Auswahl der Kameraperspektive, Schnitt und nicht zuletzt die Tonspur kommentieren, priorisieren, lenken die Aufmerksamkeit. Aber um die ganz naheliegenden Fallen manövrieren der Film und sein Macher sich herum:

Billig wäre es gewesen, jene bloßzustellen, die sich da im falschen T-Shirt oder essend oder kichernd an den so besonderen Ort gewagt haben. Oder sich, die Videokamera im Anschlag, erhaben zu wähnen über diese vermeintlich schlichten Gemüter, die den schrecklichen Ort nur gefiltert durch Kameras und verwandte Apparate glauben ertragen zu können. Nein, Loznitsa scheint es ernst zu sein , wenn er sagt, ihn treibe die Frage um, ob sich Erinnerung bewahren lasse – und wenn ja, wie.

In Hamburg ist der Film nun im Rahmen der gestern eröffneten Dokumentarfilmwoche zu sehen. In Oldenburg startet damit eine kleine Reihe zu 72 Jahren Kriegsende und Befreiung vom Nationalsozialismus. ALDI

So, 23. 4., 18.30 Uhr, Hamburg, Metropolis; Mi, 26., und Do, 27. 4., 19.30 Uhr, Oldenburg, Werkstattfilm Kinoladen