Osterfeuer sind eine schöne Sache, an der Elbe aber ein riesiges Event, mit dem politisch umgegangen werden muss, weil irgendjemand die Verantwortung tragen muss
: Auch Traditionen müssen hinterfragt werden

Foto: Lou Probsthayn

Fremd und befremdlich

KATRIN SEDDIG

Ostern ist vorbei, die Feuer sind abgebrannt und die Woche begann kühl. Ich selbst habe einem sehr kleinen Osterfeuer beigewohnt. Es maß vielleicht einen Meter im Durchmesser und die Glut wurde irgendwann durch Regen gelöscht, das war aber nicht an der Elbe, sondern an der Spree.

Richtig große Osterfeuer gab es an der Elbe in Blankenese und seit einer Weile gibt es deshalb auch Streit. In diesem Jahr gab es sogar eine Demonstration, weil die Feuer fast verboten worden wären, wenn der Wind zu stark gewesen wäre. Die Leute empören sich, das Osterfeuer ist ihnen eine heilige Sache oder ein gesundheitsschädliches Ärgernis, je nachdem. „Ihr nehmt uns unsere Tradition!“, sagen die einen, „ihr verpestet die Luft!“, sagen die anderen.

Warum ist das Osterfeuer so eine emotionale Sache? „Eine der letzten (!) Traditionen“, sagt der eine. „Es ist ja kaum noch was übrig“, sagt der andere und „sie nehmen uns alles.“ Ich weiß bei solchen Aussagen nie genau, wer „sie“ sind. Aber es sollen „die da oben“ sein. Und „uns“, das sind die Bürger, die sich betrogen fühlen. Die glauben, dass ihnen „die da oben“ im Laufe ihres Lebens immer mehr wegnehmen.

Sie merken nicht, dass wir alle, ohne Ausnahme, Dinge im Laufe unseres Lebens verlieren, dass wir Dinge aufgeben und abgeben, vor allem Traditionen. Als Erstes müssen wir uns schon in jungen Jahren von der Tradition des Weihnachtsmannes verabschieden. Irgendwann sagen einem „die da oben“, dass er nicht mehr kommen wird. Irgendwann darf man keine Ostereier mehr suchen und irgendwann sind die eigenen Eltern auch nicht mehr da. Dann kann man das alles mit den eigenen Kindern wiederholen, aber die wollen dann mit siebzehn auch keine Eier mehr suchen.

Ich esse seit einiger Zeit keine Weihnachtsgans mehr, weil ich kein Fleisch mehr esse. Traditionen kann man ersetzen. Man schafft einfach neue. Traditionen sind nichts anderes als liebgewordene Gewohnheiten, das Schwelgen in nostalgischen Gefühlen. Sie verschaffen uns ein Gefühl von Sicherheit, das trügerische Gefühl, dass alles immer so weitergeht, dass wir niemals alt werden und auch niemals sterben.

Dagegen gibt es nichts zu sagen, außer es gibt eben konkret doch etwas dagegen zu sagen. Auch Traditionen müssen hinterfragt werden. Alles muss immer hinterfragt werden. Auch wenn die Leute sagen: „Muss denn immer alles hinterfragt werden?“ Ja, alles muss immer hinterfragt werden. Wäre die schöne Tradition der Hexenverbrennung nicht irgendwann hinterfragt worden, dann würden wir heute immer noch die eine oder andere Heilpraktikerin übers Feuer binden.

Nun, das Osterfeuer ist tatsächlich eine Tradition. Jedes Jahr geht man dorthin, starrt ins Feuer, isst eine Wurst und trinkt ein paar Bier. Und ich kann bestätigen, das Ins-Feuer-Starren ist eine schöne Sache. Wir haben auch jedes Jahr auf dem Hof meiner Eltern ein kleines Feuer entfacht. So konnte man auch an kalten Osterabenden einen ersten Abend draußen verbringen.

An der Elbe sieht es allerdings etwas anders aus. Hier starrt man zwar auch ins Feuer, aber man starrt mit sehr vielen Leuten ins Feuer, die man nicht kennt. Die Leute trinken mitunter mehr als ein Bier und pinkeln in die Natur. Die Osterfeuer an der Elbe sind riesig und sind ein öffentliches Event, mit dem politisch umgegangen werden muss, weil immer jemand die Verantwortung tragen muss.

Wenn also eine nicht abschätzbare Gefahr von so einem Feuer ausgeht, dann sollte die Gefahrenabwehr einen höheren Wert darstellen als die nostalgischen Gefühle von Leuten, die als Erste von Schuld sprechen, wenn ihr eigenes Haus abbrennt.

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Eine Nacht und alles“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.