: Alle in Bedrängnis
Theater Historische Chronik am Hans Otto Theater Potsdam: Das Theaterstück „Abend über Potsdam“ von Lutz Hübner springt zurück in eine Zeit radikaler Brüche, 1929/30
von Katrin Bettina Müller
Kann man in die Geschichte einsteigen wie in ein Kostüm? Kann man eine Tür zur Vergangenheit öffnen und in sie eintreten wie in einen Raum mit Freunden? Am Hans-Otto-Theater in Potsdam wird der Versuch unternommen. Sechs Schauspieler treten ein in ein Bild, an dem die Malerin Lotte Laserstein 1929/30 viele Monate lang arbeitete. Ihr „Abend über Potsdam“ zeigt drei junge Frauen und zwei Männer in einem Dachgarten über der Stadt. Drei der Personen haben dem Betrachter den Rücken zugewandt, doch ihre Körpersprache ist die der Versunkenheit. Traurig blickt im gelben Kleid eine junge Frau in der Mitte, müde auf ihre Arme gestützt. Verstummt scheinen alle fünf, beschwert von nicht mehr teilbaren Gedanken und doch auch vertraut im Nebeneinander.
Das Bild gilt als ein Hauptwerk der Malerin Lotte Laserstein, die kurze Zeit in Berlin erfolgreich war, Ende der 1920er Anfang der 1930er Jahre, bis sie, die aus einer assimilierten Familie stammte, als Dreiviertel-Jüdin diskriminiert wurde. Sie konnte 1937 nach Schweden emigrieren, den „Abend über Potsdam“ nahm sie mit. In Berlin blieb sie wie viele von den Nazis vertriebene Künstlerinnen lange vergessen, erst das Verborgene Museum sorgte 2003 mit einer Retrospektive für ihre Wiederentdeckung.
Das Hans Otto Theater in Potsdam gab Lutz Hübner den Auftrag, ein Stück zu ihrem Bild zu schreiben. Zusammen mit Sarah Nemitz entwickelte er eine diskussionsfreudige Szenenfolge, die von der Entstehung des Bildes und erzählt und dabei ein Panorama der Zeit entwickelt. Jeder der Dargestellten erfährt die Folgen von Weltwirtschaftskrise und dem Aufstieg der Nationalsozialisten am eigenen Leib. Der Journalist Bodo Imhoff, jovial und hemdsärmelig von Florian Schmidtke gespielt, schreibt erst aus ökonomischer Not für den Völkischen Beobachter und beginnt dann, deren Ideologie zu verteidigen. Entsetzt davon ist der Dramaturg Hans Rose, der am eigenen Theater mit Schrecken sieht, wie sich das Publikum ändert.
Die Telefonistin Lisa Henkel, abenteuerlustig, aufstiegswillig und lebenshungrig, schließt sich den Urteilen ihres rechten Freundes an. Mit Gruseln nimmt die Malerin wahr, wie sich Naivität in Rassismus verwandelt. Ihre Modelle streiten immer mehr bei Begegnungen in ihrem Atelier, ein Osterfrühstück eskaliert. Die Politik, die Laserstein eigentlich nicht auf ihrem Programm stehen hatte, bedrängt sie alle, sie verhakeln sich in Rechtfertigungen. Am schlimmsten trifft es Maria Goldmann, eine junge zugewanderte Polin und Jüdin, mit der selbst die schon etablierten Migranten nichts zu tun haben wollen.
Es ist ein geschickter Zug des Dramas, das entstehende Gemälde als Ergebnis von Brüchen, von greifbaren und noch lauernden Veränderungen zu beschreiben. All diese Szenen sind informativ und emotional aufgeladen. Und doch fehlt dem Stück etwas, wirkt die Inszenierung von Isabel Osthues zu sehr einer Chronik der Ereignisse verpflichtet.
Der Raum – zugetextet
Das liegt zu einem kleinen Teil an einem technischen Mangel, die Stimmen der Schauspielerinnen bleiben zu leise, man hört schlicht schlecht. Mehr aber noch liegt es daran, dass der Raum zwischen den Figuren zugetextet wird. Es fehlt an einem ästhetischen Zugriff, der so nüchtern und distanziert beschreibt, wie Lotte Laserstein, die der Neuen Sachlichkeit zugerechnet wurde, in ihrer Malerei. Es fehlt, dass fühlbar wird, wie schwer wiegt, was sie nicht sagen können.
Vielleicht hätte geholfen, weniger zu versuchen, in die Geschichte wie durch eine Tapetentür einzutreten, sondern auch aus dem historischen Abstand auf Lasersteins Bilder zu schauen und das Potential ihrer Beunruhigung zu beschreiben. Es sind viele Frauenakte darunter und Doppelporträts von Malerin und Modell. Die Anziehungskraft der Frauen untereinander war für Laserstein ein großes Thema, ohne je zu den frivolen oder verruchten Typisierungen anderer Künstler zu greifen. Dass die Figuren der Künstlerin (Marianne Linden) und ihrer Freundin Traute Rose (Meike Fink) auch davon erzählen wollen, sieht man wohl, es ist im Text angelegt. Aber die Beziehung der Freundinnen kommt szenisch doch sehr hausbacken herüber, alles karierter Wollstoff und Fußmassage. So bleibt das Stück am Ende zwar eine gute Lektion in Geschichte, die letztendlich aber zu wenig von der Leidenschaft des Malens weiß und von dem, was das Besondere an Lasersteins Kunst ist.
Wieder am 28. April, 6. + 17. Mai, Hans Otto-Theater Potsdam
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