HAMBURGER SZENE VON AMADEUS ULRICH
: Die Vernunft im Keller

Es gibt ein goldenes Gesetz in Hamburg: Die erste Kieznacht nach langer Abstinenz muss eskalieren. Wo wir beim vergangenen Wochenende wären. Freunde und ich auf dem Hamburger Berg. Erst zögerte ich, Uni und so, Kant liest sich ja nicht von allein, aber ab und zu gehört es zum kategorischen Imperativ, die Vernunft in den Keller zu sperren.

Wir glühen vor, der Cuba Libre fließt. Alle sind blau oder lila, als wir uns an der Schanze treffen – und erstmal einen Supermarkt suchen. Ein Freund von mir, zwei Meter groß, Vollbart, kauft Jägermeister, guckt die Kassiererin an, rennt los, lacht guttural und brüllt: „Dabei bin ich erst 17!“

Eine Freundin hat Geburtstag, deswegen sind wir hier. Der Plan war, irgendwo reinzufeiern, wo Bässe wummern. Nun stehen wir stattdessen auf der Straße zwischen Mülltonnen und skandieren: „Wie schön, dass du geboren bist!“

Wir torkeln in irgendeinen Club, er ist brechend voll, Tanzen ist nicht. Mir fällt ein Mädchen auf, ich mache meinen Mitbewohner auf sie aufmerksam. Der zögert nicht lange und schubst mich mit einem freudigen „Hin da!“ hin da. Ich stolpere, falle mitten im Laden auf die Schnauze und verletze mich an der Hand. Dass ich vor mich hin blute, merke ich erst, als ich mir in die Haare greife.

Hätte ich mal lieber Kant gelesen.