Integration oder Ausgrenzung?

Mehrsprachigkeit Niedersachsen will das Fremdsprachenangebot an Schulen ausbauen. Rot-Grün verspricht sich davon mehr Integration, der Philologenverband ist skeptisch

Soll auch die Deutschkenntnisse verbessern: Fremdsprachenunterricht für Arabisch Foto: Holger Hollemann/dpa

von Milena Pieper

Weiterführende Schulen in Niedersachsen sollen künftig auch Sprachen wie Arabisch, Türkisch, Farsi und Polnisch als zeugnisrelevante Fächer anbieten. Das hat der Landtag vergangene Woche beschlossen. Die rot-grüne Regierung will auf diese Weise Schüler, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, besser fördern. CDU und FDP befürchten dagegen Hindernisse für die Integration. In anderen Bundesländern ist ein erweitertes Fremdsprachenangebot bereits Alltag.

Durch einen Erlass vom Juli 2014 hatte Niedersachsen begonnen, die Mehrsprachigkeit zu fördern, nun soll die Förderung ausgebaut werden. Herkunftssprachen sollen in allen Schulformen als zweite und dritte Fremdsprache angeboten und die Auswahl der Lehramtsfächer schrittweise erweitert werden – eventuell auch durch Kooperationen mit internationalen Hochschulen oder denen anderer Bundesländer.

Außerdem sollen ausländische Lehramtsausbildungen künftig einfacher anerkannt werden. Langfristig sollen etwa Arabisch und Türkisch mögliche Abiturfächer werden. „Die Förderung der Erstsprache eines Kindes ist enorm wichtig, dann fällt auch das Erlernen der deutschen Sprache leichter“, sagte Karin Logemann von der SPD.

Wenn es nach der CDU ginge, hätte der Antrag keine Zustimmung bekommen. „SPD und Grüne gehen mit ihrer Forderung zu weit“, sagte der Abgeordnete Clemens Lammerskitten. Herkunftssprachlicher Unterricht sei sinnvoll, werde aber durch das aktuelle Angebot abgedeckt. „Um in unserem Land anzukommen, müssen Kinder die deutsche Sprache können“, forderte er.

Der Integrationsrat Niedersachsen lässt die Argumente der Opposition nicht gelten. Es gebe zahlreiche Studien, die zeigen, dass das Erlernen der Muttersprache auch die Kenntnisse in der deutschen Sprache fördert, sagte der Vorsitzende Mustafa Yalcinkaya. Und das gelte für jede Sprache. „Die Schüler lernen die Muttersprache dann nicht nur als Slang oder Straßensprache, sie erweitern ihren Wortschatz.“ Der übertrage sich dann aufs Deutsche.

An mehreren niedersächsischen Grundschulen gibt es Türkisch bereits als Unterrichtsfach, jedoch nur für Muttersprachler. Aktuell nehmen rund 4.030 Schüler daran teil. Yalcinkaya, der selbst einen türkischen Migrationshintergrund hat, ist der Meinung, dass die Herkunftssprachen auch für Schüler, deren Muttersprache Deutsch ist, angeboten werden sollten. Das sieht auch das von Rot-Grün entwickelte Konzept vor.

Der niedersächsische Philologenverband kritisierte das Vorhaben der Landesregierung, trotz der Forderung auch das Lehramtsangebot auszubauen, als schwierig umsetzbar. Der Vorsitzende Horst Audritz begründete das mit Lehrermangel. Außerdem würden die Lehrpläne unübersichtlich. Audritz ist der Meinung, dass die Mehrsprachigkeit die Integration in die deutsche Sprache erschwere.

Aktuell werden Italienisch, Polnisch, Russisch und Türkisch bereits an niedersächsischen weiterführenden Schulen angeboten.

Italienisch gibt es an einer Gesamtschule in Wolfsburg und an einem Gymnasium in Hannover.

Polnisch wird an einem Gymnasium in Hannover angeboten.

Türkisch können die Schüler einer Integrierten Gesamtschule in Hannover lernen.

Im Bereich Russisch gibt es zwei besonders erfolgreiche Schulen mit den Gymnasien Alfeld und Uelzen.

Für Russisch als Lehramt gibt es seit Langem eine komplette Lehrerausbildung vom Studium bis zum Vorbereitungsdienst.

Unter den Schülern mit Migrationshintergrund in Niedersachsen spricht der Großteil Türkisch als Muttersprache, gefolgt von Arabisch und Polnisch.

Die Migrationsbeauftragte Niedersachsens ist da anderer Meinung: Es sei längst bekannt, „dass das richtige Erlernen und Beherrschen der Herkunftssprache kein Hindernis zur Integration, sondern eine wichtige Voraussetzung für den schulischen Erfolg darstellt“, sagte Doris Schröder-Köpf.

Man müsse die Mehrsprachigkeit, wie es andere Bundesländer bereits tun, als Potenzial anerkennen. In Hamburg beispielsweise können Schüler je nach Schulform bereits Polnisch, Russisch oder Türkisch lernen und ihr Abitur in diesen Fächern ablegen.

In Nordrhein-Westfalen gab es 2016 einen Erlass zum herkunftssprachlichen Unterricht. Dort wird etwa auch Arabisch angeboten. Mustafa Yalcinkaya findet, alle Sprachen sollten gefördert werden, da gebe es keine Eingrenzung. Am besten fördere man die Schüler, indem man sie dort abholt, wo sie Vorkenntnisse haben.