Press-Schlag
: Schnappatmung bei Yasuhikos Sturmlauf

ALT Die Überdosis an Fußball ist immer schneller erreicht. Nur gut, dass bald wieder die Guten gegen die Bösen spielen

Vor langer, langer Zeit, als die Spieltage der Bundesliga immer am Samstag von 15.30 bis ca. 17.20 Uhr stattfanden, geschah eigentlich immer das Gleiche: Der Vater des Autors dieser Zeilen ging mit einem Eimer Seifenwasser und einigen Lappen in den Vorgarten, wo schon das Familienauto auf die wöchentliche Wäsche wartete. Der Autor selbst setzte sich auf sein Bonanzarad mit Dreigangschaltung und Bananensattel und fuhr auf der Schotterstraße vor dem Haus auf und ab. Da sich dieses allwöchentlich wiederholende Schauspiel in Cuxhaven zutrug, war man entweder Fan der Guten oder der Bösen, also von Werder Bremen oder vom HSV.

Die Torschützen hießen immer Dieter oder Thomas, Günther oder Frank, und sie waren fast alle weiße Deutsche. Sollte dennoch einmal ein dunkelhäutiger Exot auf dem Platz stehen, hieß der erstens Erwin und wurde zweitens unter du­bio­sen Umständen ins Gefängnis gesteckt. Bis heute erinnert sich der Autor dieser Zeilen an folgende Episode: Ein junges Paar, das in den nächsten Tagen ein Kind erwartete, gab folgendes Versprechen ab: Sollte das Kind ein Junge werden, hätte man ihn auf den Vornamen des ersten Torschützen getauft. Was kein Problem geworden wäre, wenn Dieter oder Thomas, Günther oder Frank getroffen hätten. In dieser Saison allerdings hatte Werder Bremen den ersten Japaner verpflichtet. Den durchaus torgefährlichen Nationalspieler Yasuhiko Okudera nämlich. Radio Bremen ließ sich nicht lumpen und schaltete von Zeit zu Zeit zu den werdenden Eltern. Wann immer Okudera zu einem Lauf Richtung gegnerischen Tors ansetzte, glaubte man die Schnappatmung der werdenden Mutter fast hören zu können.

Wie schon erwähnt – ist lange her. Heute heißen die Spieler Mesut oder Ilkay, Sami oder Jerome, und Exot ist man eher dann, wenn man auf den Namen „Thomas“ hört. Das Bonanzarad ist schon lange genauso Geschichte wie die Ehe der Eltern des Autors.

Unter Berufsboxern gilt die Weisheit, dass für jeden der Kampf kommt, bei dem man als Champion in den Ring steigt und nach dem letzten Gong ein alter Mann ist.

Sollte der 28. Spieltag dieser Saison jener gewesen sein, wo der Autor am Freitagabend brav am Computer die Minuten runterzählte, bis immerhin ein 2:2-Unentschieden in Frankfurt feststand. Dann aber eher schulterzuckend zur Kenntnis nahm, dass Dortmund bei Bayern München böse unter die Räder kam?

Anzeichen dafür mehren sich: Bei einem Gespräch am Samstag stellte sich heraus, dass das Gegenüber ein echter Statistikfanatiker war. Welche Auswirkungen hätte es auf die europäische Vierjahreswertung, wenn Borussia Dortmund bis zum Ende der Saison noch fünf Punkte auf die Bayern einbüßte? Und gegen wen die deutschen Mannschaften antreten müssten, wenn sie aus der Champions League absteigen und die zweite Hälfte der Saison in der Euroleague spielen müssten?

„Das interessiert mich eigentlich nicht“, antwortete ich wahrheitsgemäß. Mein Gesprächspartner schien befremdet. Was ihn aber nicht davon abhielt, mir den Sachverhalt noch einmal zu erklären. Und dann gleich noch einmal. Dass er einfach unter einer Überdosis Fußball litt, kam ihm nicht einmal in den Sinn.

Immerhin steht nächste Woche eine der beiden wichtigsten Saisonspiele an. Werder Bremen gegen HSV. Schon jetzt spüre ich das leichte Nervenflattern. Denn deswegen sind wir doch Fußballfans geworden. Unsere Elf, also das Gute, gegen die andere Elf, also das Böse. Ob das am Samstagnachmittag geschieht oder in der Nacht von Montag auf Dienstag, ist eigentlich egal.

Knud Kohr