Die Kunst und das Recht

Ausstellung „Dreams&Dramas. Law as Literature“ in der NGBK zeigt Analogien von Fiktion, Performance Art und Jurisdiktion auf

Treppenhaus im Landgericht Berlin, Ort einer Performance von Patrick Bernier & Olive Martin Foto: Aleka Polis

Rechtsprechung ist auch nur eine Form von Performance-Kunst; eine zuweilen skurrile Abart davon. Auf diese Formel könnte man Bruno Latours ethnologische Studien der Verfahrensweisen des französischen Staatsrats (einem Gericht, das dem hiesigen Bundesverwaltungsgericht vergleichbar ist) kondensieren. Treten nicht Performer im Saal auf, zum Teil mit Talar und Perücken? Unternehmen Handlungen, operieren dabei interpretierend und assoziierend mit Texten? Und Zuschauer haben sie auch.

Der wichtige Unterschied ist: Während die performativen Künste sich mit dem Erregen von Gefühlen und dem Auslösen von wahrnehmungs- und Erkenntnisprozessen begnügen, greift die Rechtsprechung fundamental in das Leben einzelner Beteiligter ein. Die sind, als Angeklagte oder Kläger, oft nicht die Hauptperformer im Prozess. Aber sie tragen die Folgen.

Die Ausstellung „Dreams & Dramas. Law as Literature“ in der NGBK untersucht, inspiriert von Latour, die fiktional-narrativen Komponenten des Justizwesens. Sie arbeitet dabei unterschiedliche Perspektiven heraus. Die eine ist eine idealistische, beispielhaft ausgedrückt in den Artikeln 71 bis 74 der Verfassung Ecuadors. Die erkennen der Natur das Recht auf Regeneration zu und fordern Menschen, Gemeinschaften, Unternehmen und Institutionen zur Achtung der Lebenszyklen der Natur auf.

Dass es mit der Achtung der Natur nicht so weit her ist, ja dass es andere Gesetzestexte gibt, die sehr wohl massive Eingriffe in die Lebenszyklen der Natur erlauben, ist das Thema von Oliver Resslers eindrucksvollem Film „The Visible and the Unvisible“. Hinter Schwaden von Nebel (die auch giftige Dämpfe sein können, Rauch aus Verbrennungsvorgängen, aber auch der Schleier, der sich über manche ökonomischen und juristischen Aktivitäten legt) sind Bilder von der Rohstoffgewinnung vor allem in Afrika zu erkennen – sowie von Bank- und Bürotürmen im Abendland, in denen die Gewinne daraus landen. Ressler verweist auf die Schweiz als Zentrum des globalen Rohstoffhandels.

Asylsuche im Filmstudio

Diese Position verdankt das kleine Land, das an Rohstoffen nicht sonderlich reich ist, zum einen seiner für Unternehmen günstigen Steuergesetzgebung. Zugleich erlaubt das Schweizer Recht, so Ressler, auch Eingriffe in die Natur, die das US-Recht beispielsweise verbietet. Unternehmen mit juristischem Sitz in der Schweiz haben damit größere Freiheiten im Bergbau. Simple Texte sorgen hier für größere Gewinnspannen.

Eine Modellierung von Rechtsprechung nimmt die polnische Videokünstlerin Alicja Rogalska vor. In den gediegen wirkenden Gerichtskulissen eines Londoner Filmstudios lässt sie in „What If As If“ Juristen verschiedener Länder, die sich teils selbst als Asylsuchende in Großbritannien aufhalten, die juristischen Probleme der Migration erörtern. Unterschiedliche Rechtsauffassungen werden deutlich. Interpretationen unterscheiden sich. Und es werden ein paar Schritte hin zu einem Recht gemacht, das die durchaus widersprüchlichen Ansprüche versöhnen kann.

Eine Intervention ins bestehende Rechtssystem nimmt hingegen Patrick Berniers bereits 2007 begonnene Performance- und Installationsserie „A Tale for Creating a Legal Precedent“ vor. Er macht sich einen juristischen Widerspruch zunutze. Den Kanal zwischen Frankreich und Großbritannien können Waren und Geld – zumindest Prä-Brexit – relativ frei passieren. Menschen war und ist das aber nicht möglich. Jedenfalls nicht, wenn sie nicht die nötigen Papiere vorweisen können. Vor diesem Hintergrund entstand das Gedankenspiel eines Kunstprojekts, bei dem Migranten Co-Künstler sind, die mit ihrem Leib Teil eines Gesamtkunstwerks sind, das in Großbritannien gezeigt werden soll. Die entscheidende Frage ist: Wiegt das Recht auf freie und ungestörte Ausübung der Kunst mehr als restriktive Einreisegesetzgebungen?

Der Text dieser „Erzählung zur Erzeugung eines Präzedenzfalls“ ist, neben den Artikeln über die Rechte der Natur, einer der wenigen Texte der Ausstellung, der sich unmittelbar erschließt. Viele andere Auszüge aus der juristischen Literatur, darunter abgelehnte und zugelassene Anträge für gentechnische Experimente, sind so speziell, dass sie Fachkenntnisse und eine beträchtliche Einarbeitungszeit erfordern. „Dreams & Dramas. Law as Literature“ reproduziert damit die Zugangsbarrieren ihres Sujets. Rechtsprechung ist doch eine schwerer verdauliche Abart der performativen Künste.

Tom Mustroph

Bis 7. 5., tgl. 12–19, Mi.–Fr. bis 20 Uhr, NGBK, Oranienstr. 25