Träume aus Frost, Träume aus Hitze

Mit Muße und Genauigkeit: Die Ausstellung „The Helsinki School“ im Bethanien lässt ahnen, warum finnische Fotografen so viel Erfolg haben

Aus dem Foto von einem heimeligen Holzhaus, wie es in jedem nordeuropäischen Wald stehen könnte, quillt rotes Garn. Aus allen Fenstern, der Tür und dem Schornstein fließt der Faden. Ist das ein Hinweis auf die Handarbeits- und Designtradition Finnlands und zugleich der Versuch, den Geist der Saunahütte für das Branding junger finnischer Fotografie zu nutzen?

Bis zum 23.Oktober sind im Künstlerhaus Bethanien die Werke von 22 Fotografen der University of Art and Design in Helsinki zu sehen; Bilder von Absolventen wie auch von Lehrenden. Thematisch lässt sich kaum ein gemeinsamer Nenner ausmachen: Unberührte Schneelandschaften von Pentti Sammallahti und chinesisch stilisierte Blütenzweige von Sandra Kantanen hängen neben minimalistisch eingefangenen Hochhausfassaden (Ola Kolehmainen) und in Schönheit erstarrtem Autoschrott von Jouko Lehtola. Auch technisch ist die Bandbreite groß: Manches ist wie durch die Lupe, manches von weit oben betrachtet, mal werden Fotomaterial oder Motiv manipuliert, anderes dagegen wirkt eher dokumentarisch.

Doch um gemeinsame Motive und Methoden geht es dieser „Schule“ auch gar nicht, so Kurator Timothy Persons. Im Vordergrund stehe eher ein kollektiver künstlerischer Ansatz, der von der Universität, an der er selbst lehrt, vertreten werde: Die individuellen Visionen und Verfahren werden durch die ständige konstruktive Kritik von Kommilitonen und Lehrenden so weit herausgeschält, bis das Ergebnis nicht gut, sondern exzellent ist und sich europaweit sehen lassen kann – ein Großteil der ausgestellten Künstler ist längst im internationalen Kunstmarkt angekommen. So scheint in der Ausbildung also der Spagat zwischen undogmatisch-freiem, unhierarchischem Arbeiten einerseits und einer frühen Verwertungsorientierung und Marktvorbereitung andererseits zu gelingen.

Man merkt den ausgereiften Bildern an, dass es den Fotografen hierbei nicht an Unterstützung und handwerklicher Anleitung gefehlt hat. Und auch nicht an Muße. Dazu Ilkka Halso, der seinen Master 1992 machte: „Ich habe mir bis zum Ende des Jahrhunderts Zeit genommen. Die haben mich nicht gleich rausgeschmissen, als ich meinen Abschluss hatte. Ich konnte in aller Ruhe meine Ideen entwickeln.“

Die Langsamkeit bekommt den Werken und vielleicht auch die Tatsache, dass es in Finnland wenig Vorgaben in Form von Fototraditionen gibt. „Konkurrenz? Nein, wir müssen uns gegenseitig beim Vorwärtskommen helfen“, sagt Nenonen, der sich mit vier weiteren Helsinki- Schülern ein Atelier teilt.

Das Subjektive der Wahrnehmung wird in der konzentrierten Arbeit so lange vorangetrieben, bis es Bedeutung für viele bekommt. Jorma Puranen zum Beispiel fotografiert die Spiegelungen an der Oberfläche klassischer Ölgemälde – die einen im Museum so oft stören! – und vergrößert sie, bis sie zu verschwommenen Landschaften aus Wolken, Meer und Eis werden. Wenn man vor seinen tiefblauen, beinahe dreidimensional wirkenden Bildern innehält, kommt man ins Träumen – allerdings in einen derart frostigen Traum, dass selbst der Sekundenzeiger der Armbanduhr festzufrieren scheint.

Bei Jari Silonens Schwarzweißaufnahmen darf man teilhaben am Stolz des Fotografen, der nackt seine Bettlaken an die Leine hängt, allerdings nicht frisch gewaschen, sondern freudig besudelt: Die neben die Flecken geschriebenen Daten verweisen auf schlaflos-schöne Nächte. Einprägsam sind auch die Landschaftsaufnahmen von Elina Brotherus – zumal in Berlin, wo viele Gemälde Caspar David Friedrichs hängen. Brotherus benutzt wie der Maler Figuren in der Landschaft, die den Blick in die Tiefe lenken. Vielleicht ist das der rote Helsinki-Faden: ein persönlicher und frischer Blick hinaus – so ruhig und präzise ausgeführt, dass dem Betrachter sogar der Reiz von Flecken und Spiegelungen unmittelbar einleuchtet.

ELINA KRITZOKAT

„The Helsinki School – A New Approach“, Künstlerhaus Bethanien, Di.–So. 14–19 Uhr, bis 23. 10., Katalog bei Hatje Cantz, 35 €