: Labore akustischer Grenzprobleme
SoundDie Sonderausstellung „Good Vibrations“ im Musikinstrumenten-Museum dokumentiert die Entwicklungen elektronischer Klangmaschinen, die die Musik des zwanzigsten Jahrhunderts revolutionierten
von Andreas Hartmann
Naumburger Blasinstrumente, Möckel-Geigen, Cembali – die Sammlung im altehrwürdigen Berliner Musikinstrumenten- Museum richtet sich eindeutig eher an Liebhaber klassischer Tonerzeuger. Man erfährt hier mehr aus der Zeit Johann Sebastian Bachs als darüber, mit welchem Instrumentarium ein Hip-Hop-Produzent Mitte der Achtziger seine Beats erstellt hat. Die Sonderausstellung „Good Vibrations – Eine Geschichte der elektronischen Musikinstrumente“ bringt somit einen gehörigen Schwung Gegenwart in das Museum und zeigt gleichzeitig, dass es angebracht sein könnte, so manchen Klangerzeuger der Pop- und Technogeneration vielleicht auch in die hauseigene Dauerausstellung zu übernehmen.
Denn so geläufig Synthesizer und Rhythmusmaschinen heutzutage sein mögen – auch dank des Trends, wieder mit echten Vintage-Kisten Musik zu produzieren und nicht nur mit der Mouse vor dem Rechner –, sind die meisten Exponate tatsächlich echte Museumsstücke. Selbst das TB-303 von Roland, diese legendäre Zwitschermaschine und Grundlage für ein ganzes Musikgenre, nämlich Acid, ist längst eine Rarität, die auf Ebay zu Mondpreisen gehandelt wird und kaum noch in einwandfreiem Zustand zu finden. Auch das ausgestellte Exemplar macht einen mitgenommenen Eindruck. Solche Klassiker der modernen elektronischen Musikproduktion seien extrem schwer aufzutreiben gewesen, so die Co-Kuratorin von „Good Vibrations“, Sarah-Indriyati Hardjowirogo. Nach der Rhythmusmaschine TR-808 von Roland, einem essentiellen Gerät für HipHop- und Techno-Produktionen, habe man ewig gefahndet, bis man jemanden gefunden habe, der professionell derartige Klangmaschinen verleiht. Wer eine TR-808 besitzt, so Hardjowirogo, benutze sie in der Regel eben auch heute noch in seinem Studio und wolle sich nicht einmal auf Zeit von ihr trennen.
„Good Vibrations“ ist freilich mehr als eine Anhäufung berühmt gewordener elektronischer Klangerzeuger, deren Entwicklung die Musik des zwanzigsten Jahrhunderts immer wieder neu revolutioniert hat und bei denen der Kenner sofort sagen kann, welches von ihnen von Peter Gabriel oder The Orb wann genau für welche Aufnahme verwendet wurde. Dem Thema wird sich vielmehr so genähert, wie es sich für ein „Musikinstrumenten-Museum des Staatlichen Instituts für Musikforschung“ gehört: präzise und mit dem Anspruch auf Ordnung. Man bewegt sich auf einer zeitlichen Achse durch die Ausstellung, muss also erst vorbei an einem Mini-Moog, bevor man mit einem „Instrument“ der aktuellen Software-Ära, einer Musik-App, auf einem Tablet herumspielen kann. Und Liebhaber der Instrumentenkunde werden erfreut sein, dass keine Mühen gescheut wurden, die versammelten elektronischen Gerätschaften in eine ordentliche Systematik zu bringen.
Im Katalog zur Ausstellung erfährt man, dass es nicht ganz einfach war, eine Klassifizierung hinzubekommen, die auch wissenschaftlichen Ansprüchen genügt. Die Instrumentenkunde scheint auf dem Feld der elektronischen Klangerzeuger noch Fachdebatten zu führen. Sieben Instrumentengruppen hat man letztendlich erstellt für „Good Vibrations“. Ob diese wirklich allen akademischen Ansprüchen genügen, mögen beflissene Instrumentenkundler beim Durchwandern der Ausstellung für sich selbst entscheiden.
Die Geschichte der elektronischen Musikinstrumente ist geprägt von einer „100 Jahre langen Suche nach neuen Klängen“, so erklärt Sarah-Indriyati Hardjowirogo. Immer wieder waren es Bastler und Visionäre wie Lew Sergejewitsch Termen, der das Theremin erfunden hat, oder der Ingenieur Friedrich Trautwein, der Entwickler des berühmten Trautoniums, die die Hervorbringung dieser neuen Klänge ermöglichten. Mit dem Theremin, das durch eine sonderbar anmutende Annäherung der Hände an Antennen gespielt wird, ließen sich Klänge wie aus einer anderen Welt erzeugen. Und die Klänge des Trautoniums, auf dem der Berliner Komponist Oskar Sala die Sounds komponierte, die prominent in Alfred Hitchcocks „Die Vögel“ zu hören sind: Sie ließen das Gekreische von Möwen erst so angsteinflößend klingen, wie es sich der Meisterregisseur wünschte.
Später waren es vor allem Donald Buchla in Berkeley und Robert Moog in New York, die die Entwicklung des Synthesizers vorantrieben und deren Geräte die moderne klassische Musik ähnlich prägten wie die Popmusik. Bis dann ab Ende der Siebziger die großen japanischen Firmen wie Yamaha und Roland elektronische Musikinstrumente für den Hausgebrauch herstellten.
Die Geschichte der elektronischen Instrumente erzählt aber nicht nur von irren Kisten, die Musikgeschichte geschrieben haben, sondern auch von unnützen Erfindungen und Flops. Das Lyricon etwa, ein Hybrid aus Saxofon und analogem Synthesizer, brauchte kein Mensch. Außer Michael Jackson, der es kurz in seinem Song „Billy Jean“ einsetzte. Auch der Special Purpose Tape Recorder, eine monströse Tonbandmaschine aus den frühen Sechzigern, kam über den Prototyp nicht hinaus.
Zig solcher Skurrilitäten bekommen nun wenigstens noch einmal in Berlin ein wenig Aufmerksamkeit. Und einige von ihnen erleben ein Comeback, weil das Interesse an ungewöhnlichen Klängen heute ungebrochen ist. Der „Subharchord 2“ etwa, ein DDR-Synthie aus den späten Sechzigern, der unter anderem im „Labor für akustisch-musikalische Grenzprobleme“ stand und von dem heute nur noch fünf Exemplare existieren, wird wieder gespielt. Vielleicht wird er bald sogar mal auf einer neuen Platte von Radiohead zu hören sein.
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