Wodka für Gott und Vaterland

AUS POLTAWA THOMAS GERLACH
UND KAI ZIEGNER (FOTOS)

„Also, was soll man schon sagen? Die Kosaken sind das Beste und Wertvollste, was es im ukrainischen Volk nur so gibt.“ Nicken bei den Männern ringsum, auch Ataman Danilow, das 28 Jahre alte Oberhaupt der Kosaken, ist zufrieden. Der Vertreter der Stadt Poltawa will keine große Festrede schwingen, Das Wichtigste ist ja gesagt. Noch zufriedener sind die Kosaken, als der Gesandte des Bürgermeisters Ermäßigungsscheine für den Stadtbus verteilt. Dann heftet der Ataman allerlei Medaillen an allerlei Brüste, danach holt er den Säbel und schlägt ein halbes Dutzend seiner Männer zu Offizieren. Nur sein Bruder Wowa ist widerspenstig, doch dann knöpft auch er den Kragen zu und kniet nieder.

Später auf dem Dorf wird er sagen: „Offizier oder nicht, was soll das? Man ist Kosak, fertig!“ Und so endet der förmliche Teil der Feierlichkeiten zum 6. Jahrestag der Gründung der Kosakeneinheit in Poltawa, der Gebietshauptstadt mit gut 300.000 Einwohnern im Herzen der Ukraine zwischen Kiew und Charkow.

Im Dienstzimmer des winzigen Hauptquartiers, wo sie sich versammelt haben, stellt der Ataman den Säbel wieder ab, öffnet einen Tresor und zieht sein inoffizielles Hoheitszeichen heraus – eine schwarz glänzende, geflochtene Peitsche, oben am Griff noch armdick, verjüngt sie sich, bis sie am Ende fast einem feinen Pinsel ähnelt. Zwei Meter geschmeidige Folklore.

Folklore? Na, na, wirft der Ataman ein, gelegentlich müsse er sie schon verwenden. Wann? Zwei Kosaken traf es. Sie waren auf dem Markt in Poltawa als Aufsicht eingeteilt, machten sich aber aus dem Staub. Weil es zu einer Schlägerei kam, flog das auf, und so wurden sie bestraft. „Danke, Bruder, für die Lektion!“, hat der Kosak der Tradition gemäß nach der Tortur zu sagen. „Peitschenhiebe sind wirksamer als alles andere“, schwärmt der Ataman wie ein Naturheiler und legt das Leder zurück.

Im Kleinbus, der aus Poltawa hinausrollt, erzählt der Ataman, wie ihn die Kosaken zum Oberhaupt bestimmt haben. Er habe seinen Hut zurückgelassen, sei aus der Versammlung gegangen und als er wieder hereinkam, war er gewählt. „Wir Kosaken haben nach den Griechen als zweite in Europa die Demokratie eingeführt“, doziert Jura, der Geschichte studiert. „Ja, die Demokratie“, lacht der Ataman, „zwei Kosaken, drei Meinungen!“ Das ist wie ein Naturgesetz. Oder genetisch bedingt – die Kosaken haben lange freie Luft geatmet, ohne Herrn und Knechte, sind ihren Dingen nachgegangen oder haben sich mit Türken und Polen bekriegt.

Und heute? Heute haben sie eine Urkunde vom Innenminister, der ihnen den Schutz der öffentlichen Ordnung gestattet, etwa die auf dem Poltawaer Markt. Verglichen mit der Miliz und ihrem zweifelhaften Ruf sind Kosaken geradezu unbestechliche Ritter. Außerdem kosten sie nichts, wenn man von den Ermäßigungen für Busfahrten absieht. Ein bisschen mehr Anerkennung könnte es schon sein, sagt der Ataman und erzählt, dass die Saporoscher Kosaken, zu denen auch sie gehören, am Tage vor dessen offizieller Amtseinführung den neuen Präsidenten Wiktor Juschtschenko zum Hetman der Ukraine ernannt haben. „Juschtschenko hat kosakische Wurzeln, wir hoffen, dass er uns besser unterstützen wird.“ Der Bus rauscht ins Dörfchen Suprunowka hinein, zieht mächtig Staub hinter sich her und schüttelt die edlen Kosaken, als seien sie Fallobst.

„So, nun aber los! Ran an den Tisch! Was fehlt denn noch?“ Nichts. Ein Kosak hat sein Haus geöffnet und die Garage frei geräumt. Die Kosakenfahne hängt an der Wand, der Tisch ist gedeckt, die Ordnung perfekt. Oben steht der Ataman, neben ihm ein Kosakengeneral mit Aristokratengesicht und Schulterstücken groß wie Dachsteine, dann die alten Kosaken mit weißem Haar, die Ehrengäste, der Dorfbürgermeister, der später die Fahne küssen wird, mit seiner Frau, am unteren Ende hocken die jungen Burschen. Der erste Wodka ist ein „Chortiza“, benannt nach der legendären Insel im Dnjepr bei der Stadt Saporoschje, wo die Kosaken vor Jahrhunderten ihr Hauptquartier hatten.

„Na los!“ Der Ataman hebt den Plastikbecher und beginnt: „Brüder Kosaken, das Wichtigste ist die Heimatliebe, der orthodoxe Glaube und die Freiheit!“ Der Ataman, keine dreißig Jahre alt und im Zivilberuf Bauarbeiter, kann gut reden, und beten kann er auch. Der wird in einer Woche die Poltawaer beim Präsidenten würdig vertreten. Jetzt lecken sich die Alten ihre Münder. „Brüder!“ brüllt der Ataman plötzlich. „Heh!“ brüllen die Kosaken im Chor. Das wiederholt sich dreimal, endet mit einem „Heh! Heh! Heh!“ und endlich fließt der Wodka durch die Kehlen. Viele werden folgen.

Irgendwann erzählt der Ataman, wie man Kosak wird. Der Tradition gemäß ist es so: Der Anwärter muss 1,8 Liter Wodka trinken und danach mit einem Zentnersack auf den Armen eine gerade Linie entlanglaufen.

Später erzählt er eine frommere Version. Nach dem russisch-ukrainischen Schriftsteller Nikolai Gogol und seiner legendären Kosakenfigur Taras Bulba wird man es folgendermaßen: Der Anwärter muss bekennen, dass er an Jesus Christus und den dreieinigen Gott glaubt und zur orthodoxen Kirche hält. Zum Schluss muss er sich bekreuzigen. Das war’s. Später erzählt der Ataman, dass alle Kosaken hier kosakische Vorfahren haben, es also vererbt werde. Zum Schluss wird der Ataman behaupten, dass sogar ein Lutheraner Kosak werden könne.

Nach der ersten Stunde schnappen die Kosaken frische Luft. Manch Junger versucht sich im Garten am Gopak, dem traditionellen Kosakentanz, und lässt die Beine fliegen. Andere klimpern auf der Gitarre, ein Alter zerrt am Akkordeon und ein anderer klopft versonnen auf ein Tamburin. Und der Ataman wird pädagogisch. Man wolle das ideologische Vakuum füllen, das mit dem Ende der Sowjetzeit entstanden sei. Es gehe um Erziehung der Jugend im Geiste der Kosaken und der orthodoxen Kirche. „Wir brauchen keine Pfadfinder aus Amerika. Das machen wir selbst.“

Der Ataman steht mit seiner Mütze da wie ein Kapitän, um ihn herum schwitzen die Tänzer, wirbeln Grasfetzen durch die Luft – ein Mann mit Orden und seine Kosaken. Es ist wohl am ehesten eine Mischung aus Heimatverein, Freiwilliger Feuerwehr und etwas Kampfsportgruppe.

Ein alter Kosak bietet im Kirschgarten Massagen an und bearbeitet die massigen Rücken so sehr, als würde ein Traktor darüber rollen. Später fahren sie baden zum Dorfteich. Da haben sich viele schon abgeseilt. Auch der Ataman ist verschwunden. Als es dunkel wird, schnarcht das ganze Haus. Nur Ataman Danilow, wieder wach, sitzt unter einer schwachen Glühbirne und redet mit seinem Bruder.

Beim ersten Hahnenschrei kommen sie aus allen Winkeln gekrochen und klopfen sorgfältig jedes Staubkorn von der Uniform. Einer hat ein Veilchen. Es heißt, er sei noch in der Disko gewesen. Der Ataman mit wirrem Haar und sehr kleinen Augen hängt seine Jacke an den Nagel, gießt Wasser in eine Schüssel und beginnt mit dem Abwasch.