Große Koalition

Regieren sie noch oder wahlkämpfen sie schon? Im Koalitionsausschuss ringen CDU/CSU und SPD heute über gemeinsame Projekte

Ist die SPD scheinheilig?

Positionen Ein halbes Jahr vor der Wahl drängen die Sozialdemokraten plötzlich bei linken Themen wie der Homo-Ehe. Dabei ist klar: Mit der Union wird das nichts. Zeigt die SPD endlich klare Kante oder ist das Kokolores?

Will Bundesrautenträger werden: Martin Schulz Foto: Markus Schreiber/ap

Ehe für alle! Mehr Arbeitslosengeld für viele! Und viel weniger Gehalt für Manager! Täglich grüßt die SPD mit einem neuen Wahlkampfschlager.

Und das ist schön so.

Hatten wir uns nicht jahrelang beklagt, wie brav und bräsig die Sozialdemokraten vor sich hin regierten? Ohne eigenen Ehrgeiz und ohne eigene Ambitionen, geschweige denn Visionen. Was wollte die SPD eigentlich – außer weiterwurschteln? Die meisten Wähler konnten jahrelang kaum noch Unterschiede zur Union erkennen.

Nun ist die traditionsreichste Schnarchpartei Deutschlands endlich aufgewacht und macht halbwegs deutlich, was sie anders machen würde, wenn sie denn allein oder jedenfalls ohne die Union regieren könnte. Das ändert nicht sofort die Welt, regt aber wenigstens die politische Fantasie an. Und weckt bei vielen Wählern Interesse.

Gott – oder auf Neusozialdemokratisch ausgedrückt – Martin Schulz sei Dank!

Ob die reanimierten SPD-Führungskräfte ihre Lebens­zeichen auf Parteitagen, in Talkshows oder bei Koalitionsausschüssen von sich geben, ist zweitrangig. Was spricht dagegen, wenn die SPD die letzten Monate ihrer Beteiligung an der Großen Koalition auch dafür nutzt, um bei viel beachteten Koalitionsrunden überfällige Reformvorschläge wie die komplette Öffnung der Ehe für Homo-Paare einzubringen und dadurch kenntlich zu machen, was auch mit der scheinbar ach so liberalen Merkel-CDU nicht geht?

Natürlich darf die SPD jetzt bei aller Euphorie nicht das Blaue vom Himmel versprechen. Aber wenn sie erst über eigene Pläne reden darf, wenn deren Umsetzung hundertprozentig sicher ist, kann sie sich den Wahlkampf gleich sparen. Die Bürger wollen wissen, was die SPD selbst will. Dass es in Koalitionen Kompromisse geben muss, ist klar – erst recht, wenn sich die SPD schlauerweise mehrere Optionen offenhält.

Seit die SPD lauter sagt, was sie verändern möchte, interessieren sich jedenfalls ganz offenkundig wieder mehr WahlbürgerInnen für die Politik der verlässlich demokratischen Parteien – und weniger für die Sprüche von rechtsaußen. Das zeigt sich in bundesweiten Umfragen, aber auch in der deutlich gestiegenen Wahlbeteiligung im Saarland. Allein das ist schon ein Erfolg. Auch wenn der Sonntag im Saarland gezeigt hat, dass der „Schulz-Zug“ keineswegs direkt zu SPD-Wahlsiegen und schon gar nicht automatisch ins Kanzleramt fährt.

Die personellen und inhaltlichen Vorstöße der SPD sind kein Selbstläufer. Sie scheinen im Gegenteil zu polarisieren. Sie sind deshalb nicht unbedingt heilbringend für die Partei, aber gut für die Demokratie.

Lukas Wallraff

Die SPD mag eine Reihe von Problemen haben, aber eines gehört nicht dazu: populäre Themen zu Wahlkampfzwecken aus dem Hut zu zaubern.

Erinnern Sie sich an den Bundestagswahlkampf 2005? Damals zogen die Sozialdemokraten mit der Idee einer Bürgerversicherung ins Feld, obwohl sie zuvor in der Regierung sieben Jahre Zeit dafür gehabt hätten. Statt der Bürgerversicherung kam nach den Wahlen eine Mehrwertsteuererhöhung, die die SPD ausgeschlossen hatte.

Nur einmal hat es die SPD anders gemacht – 2013. Sigmar Gabriel versprach Mindestlohn und Rente mit 63 – und setzte beides in den Koalitionsverhandlungen rigoros durch. Damit war aber auch klar: Andere Themen, etwa die Mietpreisbremse, hatten für die SPD weniger Wichtigkeit. Intern sagen SPDler, das Mieten-Thema hätten auch viele Sozialdemokraten unterschätzt: Sozis etwa aus schrumpfenden Ruhrgebietsstädten hätten andere Sorgen gehabt. Die Konsequenz: eine von der Union vermurkste Mietpreisbremse, bei der die SPD jetzt Nachbesserungen verlangt – und damit Wahlkampf macht.

So war es auch bei den Managergehältern: Im Koalitionsvertrag steht es eindeutig: „Um Transparenz bei der Feststellung von Managergehältern herzustellen, wird über die Vorstandsvergütung künftig die Hauptversammlung auf Vorschlag des Aufsichtsrats entscheiden.“ Weitergehende SPD-Vorschläge scheiterten. Seitdem hat sich bei den Managergehältern nicht viel getan, außer: Die ehemalige SPD-Ministerin Christine Hohmann-Dennhardt erhielt 12 Millionen Euro als VW-Managerin.

Bei dem heutigen Vorstoß im Koalitionsausschuss geht es der SPD also darum, Hohmann-Dennhardt vergessen zu machen und stattdessen die Union vorzuführen. Die wird mit Recht darauf verweisen, dass im Koalitionsvertrag etwas anderes festgehalten ist.

Dabei wäre es relativ einfach, wenn die SPD schnell eine andere Regelung bei Managergehältern (oder Mieten) will: Im Bundestag hat sie zusammen mit Grünen und Linken eine Mehrheit. Diese ausnutzen will die SPD nicht, weil sie sich an die Vereinbarungen mit der Union gebunden fühlt. Aber im Koalitionsvertrag steht eben auch, dass es keine weitergehenden Regelungen bei Managergehältern oder der „Ehe für alle“ geben wird. Die Themen in den Koalitionsausschuss einzubringen widerspricht ebenso dem Geist des Koalitionsvertrages.

Die SPD braucht wie alle Parteien Erfolge. Aber fast noch mehr braucht sie Projekte, die nie realisiert werden, aber immer wieder vorgeschlagen werden können. Wähler, die die lange Vorgeschichte nicht kennen, freuen sich dann über die großartigen neuen Ideen der SPD. Martin Reeh