Krasser als GG Allin

PUNK Bei der 6. Auflage des Filmfestivals „Too Drunk To Watch“ im Moviemento wird Punk sehr weit ausgelegt – gut so!

Nein, Punk ist nicht tot. Zumindest scheint es immer noch genug über ihn zu erzählen zu geben, um ihm nun bereits schon zum sechsten Mal im Berliner Kino Moviemento ein eigenes kleines Filmfestival zu widmen, das Punkfilmfest Berlin.

Unter dem Motto „Too Drunk To Watch“ werden hier vom29. März bis zum 3. April zwei Dutzend Filme zu Punk als Musik und Lebenseinstellung gezeigt, außerdem gibt es Lesungen, einen veganen Soli-Brunch für Sea Watch und natürlich „Live-Mugge“: Die Band Ein Becken voller Grog etwa wird sich an dem ungewöhnlichen Subgenre des „anarchistischen Akustikpunks“ abarbeiten.

Wie es sich für ein anständiges Punkfilmfestival gehört, geht es bei der Auswahl der gezeigten Filme ziemlich durcheinander. Aktuelle Filme werden ebenso gezeigt wie der über dreißig Jahre alte Klassiker „So war das SO 36“ von Manfred Jelinski und Jörg Buttgereit. Außerdem dürfen es Spielfilme und Dokumentationen genauso sein wie Kurzfilme. Und auch thematisch gibt man sich ziemlich offen. Zu sehen werden die üblichen mittelprächtigen Banddokus sein, etwa über The Outcasts aus Belfast, die einen kurzen Moment mal John-Peel-Lieblinge waren, bevor sie in Vergessenheit gerieten.

Blutende Clowns

Dann aber auch ein Film wie „Bleeding Clowns“ von Shyam L. Jones aus dem letzten Jahr über Freakshow-Artisten in Berlin in der Tradition amerikanischer Sideshows, die mit Punk vor allem insofern etwas zu tun haben, dass sie mit dem eigenen Körper krassere Dinge anstellen, als sich das GG Allin je getraut hätte. Bitte das Gezeigte nicht daheim ausprobieren! So wird man zu Beginn des Films nicht ohne Grund gewarnt. Im Folgenden sieht man dann Feuerschluckern, Glasessern, Schwertschluckern und Selbst-Piercern bei der Arbeit auf der Bühne zu und es fließt auch gehörig Blut.

Ein echtes Highlight des Festivals ist sicherlich die französische Dokumentation „Capturing A Culture“ von Marc-Auéle Vacchione von 2016. Die Idee des Films ist bestechend und funktioniert. In Symbiose mit der Entwicklung bestimmter Jugendkulturen bekannt und berühmt gewordene Fotografen wie Glen E. Friedman und Gavin Watson reden vor der Kamera über ihre Fotos und sinnieren gleichzeitig über die Skinheadkultur, über Outlaw-Biker oder Raver, die sie mit der Kamera begleitet haben. Diese Form klingt eigentlich zu statisch für einen Film, aber man bekommt irgendwann das Gefühl, die Fotos würden in diesen kleinen Subkultur-Essays zu laufen beginnen.

Interessant an der Dokumentation ist auch, dass herausgestellt wird, wie bestimmte Szenefotografen Jugendkulturen nicht nur dokumentiert, sondern gleichzeitig mitgeprägt haben. Ohne die ikonischen Aufnahmen von Glen E. Friedman über die Z-Boys, die Mitte der Siebziger in Beverly Hills in leeren Swimmingpools skateten, hätte sich der neue Skater-Lifestyle aus Kalifornien bestimmt nicht so schnell in aller Welt verbreitet. Als Chronist des US-Hardcore wurde Friedman bekannt, aber noch stärker im aufkommenden HipHop Mitte der Achtziger war seine Arbeit wieder Geburtshelfer einer ganzen Bewegung. HipHopper vor dicken Autos, Rapper mit Goldkettchen, das ganze bis heute geläufige Bildrepertoire des HipHop geht mit zurück auf den amerikanischen Fotografen.

Aber stopp! Wo sind wir jetzt? Beim HipHop? Das passt schon. In der hervorragenden Punkdoku „Punk: Attitude“ von Don Letts, die in diesem Jahr leider nicht im Moviemento zu sehen sein wird, geht auch HipHop als Punk durch. Andreas Hartmann

„Too Drunk To Watch“, 29. 3. bis 3. 4., Moviemento, Infos: toodrunktowatch.de