Die Schnitzeljagd

Ernährung 9.500 Unterschriften haben die Initiatoren des Veggie-Bürgerbegehrens gesammelt. Das Ziel: täglich ein veganes Essen in öffentlichen Kantinen in Friedrichshain-Kreuzberg. Doch brauchen wir die Vegan-Quote überhaupt? Ein Pro und Contra

Vegan macht glücklich? Das Quorum für das Bürgerbegehren haben die AktivistInnen wohl schon mal erreicht Foto: Britta Pedersen/dpa

vonErik Peter

„Bürgerbegehren für mehr pflanzliche Alternativen“ steht auf den Fahnen der Tierrechtsaktivisten, die am Montag vor dem Bezirksamt Friedrichshain in der Frankfurter Allee zusammengekommen sind. Mitgebracht haben sie zwei Ordner voller Unterschriften. 9.500 Menschen haben seit dem Start der Kampagne im Oktober unterschrieben – für ein tägliches veganes Menü in den öffentlichen Kantinen: im Rathaus und den etwa 50 Schulen des Bezirks. Es geht, anders als einst bei der Forderung nach einem „Veggie-Day“, um ein Zusatzangebot.

Der Rechtsamtsleiter des Bezirks, Heinrich Baasen, posiert für einige Fotos, dann nimmt er die Bögen mit. Einen Monat darf nun gezählt und geprüft werden. Ein Scheitern ist unwahrscheinlich, bei 6.000 gültigen Unterschriften – 3 Prozent der Wahlberechtigten aus Friedrichshain-Kreuzberg – ist das Begehren erfolgreich. Dann muss die Bezirksverordnetenversammlung über den Antrag befinden. Lehnen die Abgeordneten die Forderung ab, kommt es zum Bürgerentscheid. Hier bräuchte es eine einfache Mehrheit bei einer Beteiligung von mindestens 10 Prozent.

Die Initiatoren hoffen derweil, dass sie eine „konstruktive und einvernehmliche Lösung“ mit dem Bezirk finden, wie Andreas Grabolle von der Albert-Schweitzer-Stiftung sagt. Schließlich entspreche ihr Anliegen auch dem rot-rot-grünen Koalitionsvertrag, wo ebenfalls eine Wahlfreiheit zwischen „veganen, vegetarischen und fleischhaltigen“ Gerichten gefordert wird.

Wenn das Angebot nicht sofort für alle Schulen realisierbar sei, wolle man „nicht dogmatisch“ sein, so Grabolle. Die Zeichen der Grünen seien positiv, so der überzeugte Veganer. Strittig sei jedoch das Geld: 300.000 Mehrkosten schätzt das Bezirks­amt, Grabolle geht von wesentlich weniger aus.

PRO

von Bert Schulz

Wer vor zehn Jahren auf einer Party erzählte, er sei Vegetarier, wurde irritiert gefragt, wie man das Leben ganz ohne Fleisch aushalten könne. Heute kommt meist die Gegenfrage, warum man nicht vegan lebe – das würden inzwischen ja so viele machen.

Tatsächlich ist sowohl das Angebot veganer Lebensmittel als auch die Akzeptanz dieser Lebensweise dramatisch gestiegen – zumindest in den urbanen Gegenden Berlins. Trotzdem ist das Ziel des Bürgerbegehrens in Friedrichshain-Kreuzberg, Kantinen ein zusätzliches völlig tierfreies Essens vorzuschreiben, absolut sinnvoll. Denn gerade in jenen Etablissements, in denen ein sonores „Mahlzeit!“ oder ein lässiges „Was gibt’s heut, Alter?“ zum kulturellen Konsens gehört, beschränkt sich veganes Essen meist noch immer auf Pommes. Das ist weder gesund noch zeitgemäß.

Und letztlich ist so ein Zusatzangebot für alle ein Gewinn: Es steigert die Auswahl; fordert die Köche heraus, ein attraktives Gericht zu kreieren, das auch gekauft wird; es schafft letztlich erst die Möglichkeit, dass Menschen mit unterschiedlicher Esskulturen gemeinsam dort dinieren können. Schließlich leistet es einen Beitrag zur Aufklärung über die ökologischen Auswirkungen von nichtveganem Essen, die in der Herstellung oft sehr viel ressourcenintensiver sind.

Wenn das alles so logisch ist, warum braucht es einen Zwang? Das ist wie bei der Frauenquote: Irgendwie finden ja auch alle, dass Frauen nett sind und genauso gut arbeiten wie Männer und nicht benachteiligt werden sollten. Trotzdem ... Sie wissen schon! Manchmal braucht der Fortschritt etwas Nachdruck.

CONTRA

von Anna Klöpper

Es ist gut, wenn Menschen sich Gedanken darüber machen, wie man die Welt besser machen könnte, und das Thema Ernährung drängt sich da auf: Fleisch essen ist ein brutaler Akt, wenn man weiß, wie die Fleischindustrie den Rohstoff Tier hält. Die Milchkühe haben es nicht besser. Fleisch essen ist auch schlecht fürs Klima (wobei das Sojaschnitzel auch keine gute Ökobilanz hat). Eine gute Sache also, das Bürgerbegehren für ein tägliches veganes Kantinenessen in Friedrichshain-Kreuzberg?

Nein, ist es nicht. Warum? Weil das Missionarische daran stört. Umso mehr, als dass es so subtil daherkommt. Denn selbstverständlich soll das Fleischessen ja nicht abgeschafft werden – die Gemüseboulette gibt’s als Angebot on top. Nicht so subtil kommt das Bürgerbegehren für die Kantinenköche daher. Jeden Tag ein veganes Essen kochen, das erstens gut schmeckt und zweitens ernährungstechnisch sinnvoll ist – da muss man schon ungefähr wissen, wie. Bringt das den Caterern jemand bei? Wer schon mal versucht hat, einen veganen Schokoladenkuchen in lecker zu backen, sodass die Kinder ihn auch essen, weiß, das ist nicht so leicht.

Und die Kinder – die Schulmensen betrifft das Bürgerbegehren vor allem – werden das vegane Essen schätzen müssen. Ansonsten produzieren die Caterer das Sojaschnitzel nämlich für die Tonne. Rund 300.000 Euro kostet das vegane Essen den Landeshaushalt pro Jahr. Also uns alle. Am überzeugendsten wirbt eine Idee – in diesem Fall der Veganismus – aber immer dann für sich, wenn sie einem völlig freistellt, ob man sie mittragen will. Nein, keine gute Sache, das Veggie-Bürgerbegehren.