Geht’s noch?
: „Sesamstraße“

Julia ist neu, hat rote Haare, grüne Augen – und sie ist Autistin. Das hat die inklusivste aller Sendungen eigentlich nicht nötig

Die „Sesamstraße“ in den USA bekommt eine neue Heldin. Sie hat rote Haare, grüne Augen, heißt Julia und ist Autistin. Das klingt nach einer ziemlich guten Nachricht in einer Gesellschaft, in der Menschen wegen jeder möglichen Abweichung marginalisiert werden: Geschlechts­identität, Körperlichkeit, Begehren, Verhalten, soziale Herkunft. Nun gibt es zwei Möglichkeiten, gegen solche Strukturen zu arbeiten. Die erste ist Sichtbarkeit. Deswegen ist Diversität in den Kindergangs der Serien von Kika bis Super RTL so wichtig. Nur um das noch mal klarzustellen: Diversität bedeutet nicht, dass der Sonderling in einer Folge hereinrollt und darüber aufklärt, wie es ist, als Kind im Rollstuhl zu sitzen. Sondern dass er mit den anderen jede Woche die Kriminalfälle löst. Die Puppen der Sesamstraße stehen aber eigentlich für eine andere Strategie. Die Erschaffung einer queeren Welt jenseits von Kategorien, in der jedes Kind kapiert, wie langweilig es wäre, normal zu sein.

Das Krümelmonster ist blau, macht grammatikalische Fehler und schert sich nicht um seinen Zuckerkonsum. Oskar lebt in einer Mülltonne. Schlechte Laune macht ihn glücklich. Kermit ist ein Frosch und Bibo ein riesiger gelber Vogel. Elmo, das rote Monster mit der Knubbelnase, war in der deutschen Fassung anfangs weiblich und hieß Elma. Die Namensänderung war sozusagen die erste Trans*-Geschichte im Vorschulfernsehen. ­Ernie und Bert bringen den Alltag einer langjährigen Homoehe ins Kinderzimmer, manchmal verzankt, aber immer voll tiefer Zuneigung zueinander.

Es gibt Non-Binary-Monster, deren Geschlechtsidentität nicht festgelegt wird. Und jede Menge Protagonisten of color(Gelb, Rot, Grün, Blau). Die Sesamstraße ist ein Fest der Nonkonformität. In so einer Welt eine Figur mit der Eigenschaft autistisch als einziges Attribut zu vermarkten ist kein Fortschritt, sondern ein Rückschritt. Was liebt Julia? Was hasst sie? Wer ist sie? „Ich wünsche mir, dass sie nicht ‚Julia, das Kind mit Autismus‘ ist, sondern einfach nur ‚Julia‘ “, sagt „Sesamstraße“-Autorin Christine Ferraro. Der erste Schritt dazu wäre gewesen, sie nicht als das Kind mit Autismus vorzustellen. ­Sondern als Julia. Welche Dia­gnose würde Krümelmonster vom Kinderpsychologen bekommen? „Suchtanfällig“? „Essgestört“? „Sprachverzögert“? Ehrlich: Will ich gar nicht wissen. Weil ich es liebe.Luise Strothmann