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Wie durch ein Vergrößerungsglas

KUNST Den Blick auf den Raum verändern, das gelingt der Ausstellung „Raum/Räume“ bei Springer

Gleich beim Eintreten fällt der Blick auf die große Fotografie eines altmodischen Auditoriums mit hoch ansteigenden Rängen; eines Raums mithin, in dem man erwartet, im Zuge einer naturwissenschaftlichen oder medizinischen Vorlesung irgendwelche absonderlichen Patienten oder Apparate vorgeführt zu bekommen.

Stattdessen dringt aus der Tiefe Nebel oder Rauch. Die Tiefe des Raums ist eine Leerstelle, allerdings sehr wohl markiert. Und genau davon handelt die Ausstellung „Raum/Räume“ in der Galerie Springer. Von künstlerisch und also auch künstlich markierten Räumen.

Ein großer Abzug zeigt ein steinernes Treppenhaus, das in seinem Zentrum durch ein Vergrößerungsglas aufgenommen worden zu sein scheint. Kreisrund und silbrig glänzend tritt dieser Teil geradezu aus dem Bild heraus. Es wurde aber nicht das Bild, sondern der Raum selbst manipuliert. Er wurde mit silberner Farbe so raffiniert bemalt, dass die räumliche Bemalung als zweidimensionaler Kreis erscheint: Georges Rousse ist berühmt für seine temporären Installationen, die irritierende Raumperspektiven zur Folge haben.

Auch Jana Müller und Wiebke Elzel richten ihre Räume wie etwa das aufgegebene anatomische Theater der Charité her. Beide lernten sich an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig kennen, wo sie bei Timm Rautert beziehungsweise Peter Piller ihren Abschluss machten. Seit rund zehn Jahren arbeiten sie an einzelnen Projekten immer wieder zusammen und suchen die verlassenen Räume, in denen sie die Bilder, die ihnen vorschweben, realisieren können. Sie legen Spuren, die man unwillkürlich mit Krisen, Katastrophen oder überhaupt Kontrollverlust assoziiert. Damit erweitert sich der konkrete architektonische Raum in den politischen oder gesellschaftlichen Raum, etwa bei den Matratzen, die die Fotografinnen im Palazzo Zenobio in Venedig ausgelegt haben. Bei denen rätselt man unwillkürlich, ob die Flüchtlinge, die über das Mittelmeer nach Italien kommen, jetzt in den alten venezianischen Palazzi untergebracht werden.

Auf sehr subtile Art und Weise verwandeln der Filmemacher und Komponist Henning Lohner und der amerikanische Kameramann Van Carlson in ihren Videos den öffentlichen Raum in einen geradezu privaten, intimen Meditationsraum. Ihr Blick auf die typische nordamerikanische Industrie- und Handelsstadt entrückt uns dem Lärm und Gestank, dem Gedränge und Verkehrschaos. Stattdessen ist alles Fließen.

Und dann freut man sich, Anna Lehmann-Brauns bestechenden Aufnahmen von den Ateliers in Berlin lebender Künstler wieder zu begegnen. Dass die Qualität der kleinen Schau auffällig hoch ist, muss dem Umstand zugerechnet werden, dass die Mehrzahl der Exponate ihre Aura schon über ein paar Jahre hin verteidigt und im Lauf der Zeit ja sogar gesteigert hat.

BRIGITTE WERNEBURG

■ Bis 12. Januar, Galerie Springer, Fasanenstr. 13, Charlottenburg, Di.–Fr. 11–18 Uhr, Sa. 12–15 Uhr

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