Laute Seelenqual

Jacqueline Kornmüllers Inszenierung von Ibsens „Die Frau vom Meer“ am Schauspielhaus lässt viele Fragen offen

Das Ergebnis ist deprimierend: Nach einem zweistündigen Kraftakt menschlicher Seelenqualen steht am Ende von Jacqueline Kornmüllers Inszenierung von Henrik Ibsens Die Frau vom Meer, die jetzt am Schauspielhaus Premiere hatte, die banale Mittelmäßigkeit. Ernüchternd. Für die Stücke Ibsens allerdings auch wieder charakteristisch.

Dass Jacqueline Kornmüllers erste Inszenierung in Hamburg dennoch kein großer Wurf ist, liegt im dargestellten Konflikt zwischen Spießerehe und Leidenschaft begründet: Letztere bleibt ein triviales Konstrukt, eine Krankheit, die durch die Freiheit, selbst entscheiden zu können, schließlich geheilt, ausgemerzt wird.

Ellida (Marion Breckwoldt), umgetrieben von der Sehnsucht nach dem Meer und eingeengt in der Vernunftehe mit dem langweiligen Witwer Wangel (Otto Kukla), kämpft und weint, klagt, windet und verzehrt sich. Im Konflikt zwischen ihm und dem fremden Mann, mit dem sie die Liebe zu den Möwen, dem Meer und dem Wind teilt und einst ein symbolisches Ehegelöbnis einging, zieht sie sich an den Haaren, die Augen treten fast aus den Höhlen, sie brüllt und schreit – doch das alles ist manchmal zu viel. Für die feinen Nuancen einer leidenschaftlichen Sehnsucht und Liebe scheint in dieser Inszenierung Kornmüllers kein Platz. Ganz im Gegenteil: Nicht Liebe, sondern Macht wie ein Dämon besitzt der andere Mann über sie. Ihr helfen und sie verarzten – das kann nur ihr langweiliger Ehemann Wangel: Sehnsucht und Leidenschaft als Krankheit.

Krank sind tatsächlich alle Figuren in diesem Stück. Mit Sehnsucht und tiefen Gefühlen zwar, doch bleiben sie gefangen in ihrer mittelmäßigen Existenz. Ausdruck findet dies im schlichten, offenen Bühnenbild (Etienne Plus), den dichten Nebelschwaden, einem Tisch mit Blumen und, zu Ellidas Entscheidung, in der strahlend hellen Sonne.

Aufgang oder Untergang? Wohl eher Letzteres: Im Trubel des zweistündigen Kampfes, nach Weinen, Schreien, Klagen und Anklagen, Verzehren und Ablehnen geht die Entscheidung, die ja Ziel all diesem Kämpfens war, fast unter. Am Ende steht ein schnödes, lapidar dahin gesagtes „Na, dann bleib‘ ich bei dir.“ Hinter die Freiheit, selbst entscheiden zu können, tritt der eigentliche Konflikt zurück. Und mit ihr auch das Verlangen nach Freiheit und Liebe, die Leidenschaft und Sehnsucht nach dem Meer, den Möwen und dem Wind. Wenn‘s denn nur immer so einfach wäre.

Christine Schams

weitere Vorstellungen: 2., 23.+ 28.10., 20 Uhr, Schauspielhaus