GEHT’S NOCH?
: Hart, härter, am dümmsten

Es ist Mode, von Merkel zu fordern, sie solle ErdoĞan, Trump und anderen Unsympathen die Meinung geigen. Was für ein Quatsch!

Einer geht noch, einer geht noch rein. Erdoğan mit Teufelshörnern im Stern, Trump mit IS-Schlachtermesser im Spiegel – der mediale Abwehrkampf gegen ausländische Unsympathen wird rabiater. Das allein wäre kein Problem. Solche Titel kann man für mehr oder weniger geistreich halten. Natürlich haut auch die taz oft gerne drauf. Und es ist sogar schön, wenn Bild Türken befragt, die ihrem Präsidenten dann ganzseitig „die Meinung geigen“. Problematischer ist die damit direkt oder indirekt verbundene Kritik, die Kanzlerin sei zu lasch, zu feige, jedenfalls viel zu freundlich zu ausländischen Regierungschefs.

Das ist sie nicht – auch wenn ihr Schweigen manchmal wehtut und ihre Phrasen langweilen. Aber was wollen wir eigentlich? Soll Angela Merkel jedes Mal, wenn sie sich aufregt, einen Tweet raushauen wie Trump? Soll sie immer spontan und ehrlich ihre Meinung sagen? Erdoğan sofort zurückbeleidigen und mit ihm am besten auch noch alle AKP-Wähler, die in Deutschland leben? Nein. Zum Glück verzichtet Merkel bisher auf Knalleffekte, die innenpolitisch kurzfristig Beifall bringen. Stattdessen wägt sie gründlich ab, ob harte Worte nachhaltigen Nutzen haben – und ob sie ihnen notfalls auch entsprechende Taten folgen lassen kann und will. Eigentlich alles sehr vernünftig, oder?

Aber Vernunft und Realpolitik scheinen derzeit nicht gefragt zu sein. Vielmehr haben Heuchelei und ­Hybris Konjunktur. Viele von denen, die jetzt einen noch härteren Konfrontationskurs, Einreiseverbote und Sanktionen gegen Erdoğan fordern, wären unter den Ersten, die Merkel wütend kritisierten, wenn ihr Flüchtlingsdeal mit der Türkei platzte und wieder viel mehr Menschen nach Deutschland kämen.

Und welche Ziele haben jene vielen Kritiker wirklich, die Merkel Unterwürfigkeit gegenüber Trump vorwerfen und fordern, sie solle höchstens noch unter unseren, moralisch vorgeblich einwandfreien Bedingungen mit dem US-Präsidenten reden? Wer stattdessen lieber enge Freundschaft mit Schutzpatron Putin, China oder Nordkorea schließen möchte, werfe den nächsten Stein.

Alle anderen könnten sich an ein Motto erinnern, für das sie Michelle Obama vor Kurzem noch viel Beifall zollten und das auch in internationalen Beziehungen edel ist: „When they go low, we go high.“ LUKAS WALLRAFF