Israel als Schoß des Bösen

Pro & Contra Israel-Boykott Ist die Bewegung „Boycott, Divestment, Sanctions“, BDS, antisemitisch? Ja, sie knüpft an die Nazizeit an, schreibt

Klaus Hillenbrand

Foto: Detlef Werth

ist Ressortleiter der taz.eins. Er besucht regelmäßig Israel und hat mehrere Bücher zur NS-Verfolgung der Juden und zur jüdischen Geschichte geschrieben. Zuletzt hat er 2017 herausgegeben: „Die letzten Tage des deutschen Judentums“, Verlag Hentrich & Hentrich.

Klaus Hillenbrand

Der Boykott von Juden hat eine lange Tradition. Schon seit der Wende vom 19. auf das 20. Jahrhundert wurden sie in Deutschland populär. Judenboykotte waren einerseits Reaktionen auf die zunehmende Gleichstellung in Mitteleuropa, die es Juden ermöglichte, auch in Geschäftsfeldern tätig zu werden, die zuvor Christen vorbehalten waren.

Andererseits war der Judenboykott nur eine von vielen antisemitisch motivierten Aktionen, mit denen man Juden wieder an den Rand der Gesellschaft drängen und sie als vermeintliche Feinde eines imaginären Volkswillens stigmatisieren wollte. Dazu zählten etwa Bemühungen, nur eine begrenzte Zahl Juden an Hochschulen zuzulassen oder sie weiterhin von bestimmten Berufen auszuschließen.

Angriff auf Existenzberechtigung

Wenn heute Judenboykott zur Sprache kommt, ist damit meist eine Aktion des NS-Regimes vom 1. April 1933 gemeint. An diesem Tag riefen die nationalsozialistischen Machthaber zum Boykott jüdischer Geschäfte und Unternehmen auf. Er kann als eine der ersten Maßnahmen verstanden werden, mit der die Nazis die deutschen Juden aus dem Wirtschaftsleben zu eliminieren trachteten. Es war ein Vorbote für den Massenmord als finale Folge der Verdrängung.

Wir müssen diese historische Perspektive berücksichtigen, wenn wir über den internationalen Boykott gegen den Staat Israel diskutieren, der sich „Boycott, Divestment, Sanctions“, BDS, nennt. Die Befürworter argumentieren, ihre Aktion habe nichts mit Antisemitismus zu tun und richte sich allein gegen die Politik der israelischen Regierung. Ihr Ziel ist dabei eine Bestrafung Israels als ein Staat, der die Palästinenser unterdrücke und insbesondere palästinensisches Land besetzt halte. Im Idealfall, so die BDS-Wortführer, führe ihre Aktion zu einer Revision dieser israelischen Politik. Oder, so der unmissverständliche Subtext: zur Auflösung des jüdischen zugunsten eines binationalen Staates, in dem Juden dann eine Minderheit wären.

Der Boykott richtet sich nicht allein gegen israelische Unternehmen, die im Westjordanland tätig sind, sondern betrifft alle Produkte „Made in Israel“, alle akademischen Kooperationen und selbst den Schüleraustausch. Damit verhängen die BDS-Befürworter eine Kollektivstrafe gegen alle Israelis, gleich welcher politischer Gesinnung. Ihr Boykott richtet sich damit gegen die israelische Gesellschaft als Ganzes und hat zum Ziel, diese Gesellschaft und ihre staatliche Ordnung zu delegitimieren. Sprich: Israels Existenzberechtigung infrage zu stellen.

Der Staat Israel aber ist jüdisch geprägt. Die große Mehrheit der Israelis – von rechtskonservativ und religiös geprägt bis hin zu säkular denkend oder politisch links eingestellt – besteht auf dem jüdischen Charakter ihres Landes. Es ist dieser Versuch der Delegimitierung Israels, der gewollt oder ungewollt an die antisemitischen Aktionen gegen Juden vor und während der NS-Zeit anknüpft.

Die Boykott-Befürworter behaupten, ihre Aktion sei nicht antisemitisch, sondern antizionistisch orientiert. Die Delegitimierung beträfe keineswegs die Juden im Allgemeinen, sondern alleine ein jüdisch dominiertes Staatswesen. Häufig berufen sie sich dabei auf einige wenige Vorzeigejuden, die sich ihrer Bewegung angeschlossen haben.

Doch diese Unterscheidung ist historisch von keinerlei Sachkenntnis getrübt. Der Gründung des Staates Israel hat die internationale Gemeinschaft 1948 nicht zuletzt auch unter dem Eindruck des Vernichtung der Juden in Europa zugestimmt. Seine Existenz ist daher untrennbar mit dieser historischen Realität verwoben. Greift man dieses Land nun mit Methoden an, die der Verfolgungsgeschichte entlehnt sind, so sollte es niemanden verwundern, wenn diese Methode als schäbig und antisemitisch empfunden wird. Ob der Boykott Israels nun antisemitisch oder „nur“ antizionistisch ist, ist nicht die entscheidende Frage, zumal sich Antizionismus und Antisemitismus häufig überlappen. Entscheidend ist vielmehr, dass Holocaust-Überlebende ebenso wie deren Nachfahren ihn fast schon zwangsläufig als antisemitisch empfinden müssen.

Wer in Europa der Schoah entronnen ist, wird aus nachvollziehbaren Gründen nicht bereit sein, zwischen Juden- und Israel-Boykott zu unterscheiden, besonders dann nicht, wenn man als Bürger des Staates Israel angriffen wird. An den Rand gedrängt zu werden – diese Erfahrung haben diese Menschen schon einmal gemacht. Weil die Schoah ein untrennbarer Teil der Vorgeschichte Israels ist, begreift eine überwältigende Mehrheit der jüdischen Israelis diesen Boykott eben nicht nur als politisch unangemessen, sondern als Angriff auf die eigene Existenz.

Ohne jede Empathie für Juden

Die Boykotteure scheren sich nicht um die ­Verletzungen, die sie den Überlebenden zufügen

Die Boykott-Befürworter nehmen dies bei ihrer Aktion wissentlich in Kauf. Sie scheren sich nicht um die Verletzungen, die sie den Überlebenden zufügen. Ihnen scheint die öffentliche Meinung in Israel, das sie zu einem besseren Staatswesen umzuerziehen oder aufzulösen gedenken, vernachlässigenswert zu sein.

Soll das etwa ehrliches Bemühen sein, den komplizierten Nahostkonflikt einer Lösung näher zu bringen? Es zeugt eher von einseitiger Parteinahme. Dabei werden Methoden angewandt, mit deren historischer Dimension man sich entweder nicht auseinandergesetzt hat oder diese Dimension gar bewusst nutzt.

Es ist diese Haltung der Unversöhnlichkeit und der fehlenden Empathie, die die Boykottbewegung gegen Israel so unerträglich macht. Und es ist umso unbegreiflicher, dass sich auch Deutsche dieser Aktion anschließen, obwohl gerade sie eine besondere Verantwortung für jüdisches Leben in und außerhalb Israels tragen sollten.

Wer aber unbedingt auf der Fährte der eigenen Vorfahren wandeln möchte, dem sei dies unbenommen. Zumindest den deutschen Boykott-Freunden empfiehlt sich allerdings, vor ihrer nächsten Aktion einmal einem Blick in die beim Bundesarchiv gelagerten Akten des Document Centers zu werfen, um zu überprüfen, was der eigene Groß- oder Urgroßvater vor 75 Jahren so getrieben hat. Möglicherweise ergeben sich erstaunliche Kontinuitäten.

An dieser Stelle hat taz-Redakteur Daniel Bax in der gestrigen Ausgabe ­geschrieben, warum er BDS für legitimen Protest hält