Fehler im System

MIDAGESimone Unger und Christine Färber stellten ihr Buch „Alles auf jetzt“ über Frauen mit 35 im „Cosmic Kaspar“ in Mitte vor

Die biologische Uhr tickt. Die ersten grauen Haare sprießen. Hochzeiten und Scheidungen im Freundeskreis, beiderlei sind an der Tagesordnung. So wie Sabine Unger und Christine Färber den Alltag von Frauen Mitte 30 eingangs in ihrem Buch „Alles auf Jetzt“ skizzieren, klingt es zunächst ermüdend, problematisch, spießig. Die Autorinnen porträtieren in ihrem Buch 15 Frauen im Alter von 35 Jahren. Am Mittwoch lasen sie im Keller des Clubs Cosmic Kaspar in Mitte daraus vor. Rund 40 Menschen, davon die meisten weiblich, mindestens zwei schwanger, hören ihnen zu.

Gemeinsam haben die Porträtierten in „Alles auf Jetzt“ erst mal nur die Zahl 35 und die Bezeichnung „Frau“. Eine Galeristin, eine Lehrerin oder auch eine Frau, die bis zu ihrem 35. Geburtstag noch als Mann lebte, sind unter ihnen. Sie sind unterschiedlich – ihre Themen sind es nicht. Eben „Kinder, Sex und Selbstverwirklichung“, wie es im Subtitel heißt. Die Fragen, die sie umtreiben: Was sollte man mit 35 erreicht haben? Bin ich zufrieden mit meinem Leben? Welche Wünsche habe ich?

Kinderlose Frauen Mitte dreißig werden häufig mit der Frage nach einem Kinderwunsch konfrontiert. „Wird langsam Zeit, oder?“, heißt es öfter. Nicht sonderlich überraschend, dass das Thema auch in den Porträts dominiert. Denn Frauen, die sich gegen Kinder entscheiden, müssen ebenso begründen, warum. Intendiert war dieser Fokus von den Autorinnen nicht. Doch die Kinderfrage hätten sie kaum aussparen können, selbst, „wenn sie uns mehr als einmal zum Hals heraushing“.

Autorin Christine Färber, bei der Lesung selbst hochschwanger, berichtet in einem sehr persönlichen Zwischenkapitel über ihre ersten Gedanken nach dem Schwangerschaftstest. Trennt sie das jetzt von ihrer Ko­autorin? Schließlich waren sie doch beide zuvor „Fehler im System“ – also kinderlose Frauen kurz vor vierzig.

So ehrlich und selbstkritisch wie die Texte der Autorinnen sind auch die Porträts der Frauen. Sie ermöglichen einen intensiven Blick in fremdes Leben. Nur streckenweise lesen sie sich wie Briefe an eine Kummerkastentante oder Einträge im Forum Gofeminin: „Wir beide wünschen uns ein Kind. Das ist fest geplant, und ich freue mich, dass wir uns da so einig sind. Denn ich habe innerlich schon Druck. Meine Uhr tickt, und ich weiß natürlich nicht, ob das so einfach noch mal klappen wird.“ Das klingt sehr nach Bekenntnisliteratur und es ist zuweilen redundant, aber auch authentisch.

Am Ende ziehen die Journalistinnen eine überraschende Bilanz: „Nur wenige der Frauen mit Mitte dreißig, die wir getroffen haben, scheinen Interesse daran zu haben, die klassischen Rollenbilder zu hinterfragen“, resümieren sie. Im traditionellen Familienbild sähen viele der Gesprächspartnerinnen ihre Erfüllung. Also doch Kind, Haus, Hund? Ganz so konform lesen sich die Porträts zum Glück nicht. Linda Gerner

Simone Unger/Christine Färber: „Alles auf Jetzt.“ Chr. Links Verlag Berlin 2017, 200 S., 18 Euro