Jugend probt Ich-AG

15 Charaktere, 15 Biografien: „Bremens Erstes Schulübergreifendes Theater“ (B.E.S.T.) gibt Einblicke in Hoffnungen und Ängste hanseatischer Teenies. Der Titel: „Grauingrau und Rosarot“

Verzweifelte Mädchen warten neben einer US-Postbox am Straßenrand, dazu singen die Beatles, der Briefträger möge doch eine Minute warten und einen Brief da lassen. Ein anderes Mädchen irrt vorbei, unendliche Trauer ist ihr ins Gesicht geschnitzt. Sie trägt ein Schild, auf dem steht „Papa?“

Worauf warten Bremens Teenager? fragt das Stück „Grauingrau und Rosarot“. Erarbeitet haben es 15 SchülerInnen, die in „Bremens Erstem Schulübergreifenden Theater (B.E.S.T.)“ ihr Bühnenzuhause gefunden haben. 15 Charaktere erzählen gleichzeitig 15 Autobiografien in ultrakurzen Handlungen, Standbildern oder Minidialogen. Ein schönes Durcheinander, das vom Publikum durch den Raum wandernd erkundet werden soll. Unmöglich, alles wahrzunehmen.

Für jede alljährliche B.E.S.T.-Produktion wird eine Spielstätte gefunden, die den Lauf der Handlung mitbestimmt und von den Jugendlichen ausgestattet wird. Dieses Jahr fiel die Wahl auf ein Abfertigungslager im alten Postgebäude beim Bahnhof, ehemals Durchgangsstation für Sendungen in alle Welt.

„Wem Gott will seine Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt“ singen die Jugendlichen, wenn sie sich zusammen finden. Sonst bestimmt schicksalhafte Vereinzelung das Teenie-Gemüt – auf der Suche nach Liebe, Arbeit und Identität. Was alle vereint, ist das Ausgeschlossen-Sein vom Rest, und auch das Publikum ist dabei: Denn „Grauingrau...“ ist nicht nur interaktives Mitmachtheater. Da es kaum Handlungen oder Dialoge gibt, konzentriert sich die Darbietung auf Stand-szenen, Kristallisationen jugendlicher Befindlichkeiten: Ein Mädchen schlägt auf einen Boxsack ein. Ein Junge schreibt Gedichte, statt sich wie die anderen auf Jobsuche zu begeben. Sporadischer Galgenhumor, wenn die Jugendlichen bei einer Arbeitgeberpuppe um Anstellung betteln. Etwa, wenn eine 16-jährige ihre Qualitäten in der Elefantenpediküre anpreist.

Jeder Charakter sieht sich einer monströsen Gesellschaft gegenüber. Jeder ist ein bankrotter Bittsteller. Jedes Begehren findet nur in den Außenposten des Individuums seinen Platz. Ihre Erfahrungen mit der eigenen ungewissen Zukunft wollen die Jugendlichen verarbeiten, keine Geschichte erzählen, sondern Einblicke in die improvisierende Arbeitsweise geben, die eben nicht zu einem fertigen Stück führen kann. So ist der nicht endende Produktionsprozess nie vom Produkt zu trennen – kein Vorhang geht auf, keine Show geht weiter. Geschweige denn los. Robert Best

„Grauingrau und Rosarot. Das charmante Lächeln der Absturzkante“ hat Dienstag Premiere und wird täglich bis zum 8. Oktober sowie vom 11. bis zum 15. Oktober jeweils um 20 Uhr im Postgebäude am Hauptbahnhof gezeigt (Seiteneingang: An der Weide 50)