Die Grenze der Hasspropaganda

terroriSMUS Werbung für den Dschihad und den „Islamischen Staat“, Aufrufe zur Gewalt gegen Andersgläubige: Der radikal-salafistische Islamkreis Hildesheim wurde aufgelöst

Durchs Fenster eingestiegen: Die Polizei durchsucht die Räume des „Deutschsprachigen Islamkreises“ in Hildesheim Foto: Holger Hollemann/dpa

AUS HANNOVER Andreas Wyputta

Sie kamen einmal wieder im Morgengrauen: Rund 420 Polizeibeamte haben am Dienstag ein vom niedersächsischen Innenministerium verhängtes Verbot gegen den „Deutschsprachigen Islamkreis Hildesheim“ (DIK) durchgesetzt. Dabei wurden die Moschee des radikal-islamischen Vereins in der Hildesheimer Martin-Luther-Straße sowie neun Wohnungen durchsucht. Das DIK-Verbot sei ein „extrem wichtiger, harter Schlag gegen Extremisten“, sagte Niedersachsens SPD-Innenminister Boris Pistorius.

Die Sicherheitsbehörden des Landes vermuten seit Längerem, dass der DIK eine Organisation gewaltbereiter Salafisten ist. Die Vereinsräume waren bereits im Juli und November 2016 durchsucht worden. Besonders im Visier von Polizei und Verfassungsschutz stand dabei der aus dem Irak stammende Ahmad Abdelazziz A., genannt Abu Walaa. Zusammen mit Unterstützern war der radikale Islamist im November festgenommen worden – seitdem sitzt er in Untersuchungshaft. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vor.

Denn nach Hasspredigten Abu Walaas in der Hildesheimer DIK-Moschee sollen immer wieder vor allem junge Männer in die Krisengebiete Syriens und des Iraks aufgebrochen sein. Ihr Ziel: die Unterstützung des sogenannten „Islamischen Staates“ (IS).

Von 77 aus Niedersachsen ausgereisten mutmaßlichen IS-Sympathisanten sollen allein 17 aus Hildesheim stammen. Das Freitagsgebet der DIK-Moschee sei aber durchschnittlich von 200 bis 400 Menschen besucht worden, erklärte Niedersachsens Verfassungsschutzpräsidentin Maren Brandenburger. Zum radikalisierten „harten Kern“ des Vereins zählt die Geheimdienstchefin aktuell allerdings nur rund 50 Personen.

Die Kritik von CDU und FDP, das DIK-Verbot komme zu spät, wies Sozialdemokrat Pistorius zurück. Ein Vereinsverbot sei „nicht mal eben über Nacht durchsetzbar“ – schließlich garantiere das Grundgesetz die Vereinsfreiheit, so der Minister.

Landespolizeipräsident Uwe Binias betonte deshalb, nach umfangreichen Ermittlungen sei die bereits am 7. März erlassene und am Dienstag umgesetzte 67-seitige Verbotsverfügung juristisch abgesichert: Der Islamkreis habe nicht nur Kämpfer für den IS geworben, sondern zum Dschihad und damit zur Gewalt gegen Nichtmuslime aufgerufen. Außerdem werbe der DIK für die Umwandlung der Bundesrepublik „in ein theokratisches System“, sagte Binias. „Für all das haben wir Belege.“

Insgesamt ist das DIK-Verbot Teil einer Strategie der Härte, mit der die Sicherheitsbehörden radikale Islamisten spätestens seit den Anschlägen von Paris, Nizza und Brüssel in ihre Schranken weisen wollen. Dazu gehört etwa das im November vergangenen Jahres von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) erlassene Verbot des Salafistenvereins „Die wahre Religion“ (DWR). Wie in sechs weiteren westdeutschen Bundesländern hatte die Polizei dazu in Hamburg, Bremen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein Razzien durchgeführt. In Hamburg-Harburg wurde dabei auch die Al-Taqwa-Moschee durchsucht.

Salafisten interpretieren den Islam ultraorthodox: Sie glauben, sich auf die Ursprünge der monotheistischen Religion berufen zu können – im Arabischen bedeutet „Salaf“ Vorfahre oder Vorgänger.

Bundesweit sollen rund 900 Radikale in die Kriegsgebiete des Nahen Ostens aufgebrochen sein, um dort den sogenannten „Islamischen Staat“ (IS) zu unterstützen.

Allein in Niedersachsen geht der Verfassungsschutz aktuell von 77 ausgereisten Sympathisanten aus. Davon dürften allerdings nicht alle zu IS-Kämpfern geworden sein: Einige könnten auch nur an „Hilfskonvois“ teilgenommen haben, mit denen Medikamente, aber offenbar auch Waffen nach Syrien und in den Irak transportiert wurden.

29 IS-Unterstützer sind bereits nach Niedersachsen zurückgekehrt. Wer von den Übrigen noch lebt, ist unklar: „Es dürfte“, sagt Verfassungsschutzchefin Maren Brandenburger, „auch einige Todesfälle gegeben haben.“

Verboten wurde auch die DWR-Koranverteilaktion „Lies!“, mit der die Gruppe in den Fußgängerzonen vieler Städte versucht hatte, Muslime zu radikalisieren. Bereits im Februar 2016 war auch ein der Salafistenszene zugerechneter „Islamischer Förderverein Bremen“ verboten worden. Wie aktuell in Hildesheim wurden auch in Bremen Computer, Festplatten und Telefone als Beweismittel beschlagnahmt.

Niedersachsens Innenminister Pistorius deutet bereits an, dass weitere Verbote folgen könnten: „Ich denke“, sagte er in Hannover, „dass sich solche Signale in Deutschland in nächster Zeit häufen werden.“

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