Selbst schuld, wer um Verständnis ringt

Premiere Die Aufmerksamkeit bekommt zu tun: Sebastian Baumgarten inszeniert ein frühes Stück von Brecht im Gorki Theater. „Im Dickicht der Städte“ feiert den Expressionismus und misstraut der Sinnstiftung

Lea Draeger und Taner Şahintürk auf der Leinwand, die Synchronstimmen davor: „Dickicht“ nach Bertolt Brecht Foto: Ute Langkofel/Maifoto

von Katrin Bettina Müller

Ein Haudrauf war der junge Brecht und ein Verschwender von Emotionen. Seine Sprache stachelte auf, seine Figuren kratzten an all den Ängsten, die Erster Weltkrieg und Räte- und Oktoberevolution jeweils hinterlassen haben. Die frühen Stücke „Baal“, „Trommeln in der Nacht“ und „Im Dickicht der Städte“ testen launenhaft aus, was geht: Wie viel Egoismus, wie viel Aggressivität, wie viel Wahnsinn lässt sich auf einen Mann häufen? In diesen Texten kommt auch nach dem Fressen noch lange keine Moral. Als wollten sie jeden Erziehungsgedanken verwerfen, jede Reformmöglichkeit verlachen, jeglicher Empathie mit den Figuren einen Riegel vorschieben. Wer hier um Verständnis ringt, ist selbst schuld.

Gewaltige Wortgemälde

Und trotzdem bleiben die Texte gewaltige Wortgemälde. Die Dramen sind zudem voll von spannenden Situationen und Konfrontationen, die auch einem schwarzen Thriller gut anstehen würden – nur dass man im Plot keinen Sinn findet, nicht weiß, warum Shlink, ein chinesischer Holzhändler aus Chicago, sich zum Beispiel „Im Dickicht der Städte“ einen Spaß daraus macht, Garga, den Angestellten einer Leihbücherei, erst zu demütigen und ihm dann sein Geschäft zu schenken. Unberechenbar sind Garga und Shlink in ihrer Feindschaft ebenso wie in ihrer selbstmörderischen Komplizenschaft. Es geht um Käuflichkeit, so viel ist klar, aber auch um die Suche nach Reibung und Widerstand. Das macht ganz wuschig im Kopf. Regisseur Sebastian Baumgarten inszeniert „Dickicht“ im Maxim Gorki Theater halb als Film, halb auf der Theaterbühne. Nicht über Sinnstiftung versucht er die Szenen zusammenzuhalten sondern über einen ästhetischen Zugriff. Was man auf der Leinwand sieht, ist selbst wiederum theaterhaft, in grünliches oder rotes Licht getaucht, exaltiert stilisiert, grob geschnitten und stumm. Die Schauspieler auf der Bühne ragen als Silhouetten in den Film und sprechen den Text, asynchron, fügen Geräusche hinzu. An Fassbinder-Filme erinnert die ausgestellte Künstlichkeit, an den Horror von David Lynch das Unkalkulierbare und Psychotische der Figuren. Die Filmszenen leben von der ausgestellten Nichtperfektion, vom Charakter als Versuchsanstalt für Figuren. Dann springt das Geschehen auf die Vorderbühne, die Szene geht weiter, schlicht schwarz gekleidet, ohne weiteres Kostüm und Requisite spielen die Schauspieler jetzt. Die Aufmerksamkeit bekommt zu tun, will man am Ball bleiben.

Haften am Augenblick: Baumgarten folgt der Spur mit Gefühl für Timing

Kann man den bildungsbürgerlichen Dunst abstreifen und ein neues, proletarisches Publikum gewinnen, indem man eine Theateraufführung wie ein Sportereignis strukturiert, nur auf den Moment konzentriert? Sicher haben die frühen Stücke des Boxfans Brecht etwas von diesem Versuch, auch durch die Musikalität der Sprache und ihre expressionistische Energie. Doch das Haften an dem Augenblick ist eine historische gewordene Strategie, deren Spur Baumgarten hier noch einmal folgt, mit gutem Gefühl für das Timing und unterstützt vom durchaus witzigen Spiel des Gorki-Ensembles. In Text-Inserts ruft die Inszenierung dem Publikum zu, achte allein auf den Moment, suche nicht mehr. Wohl wissend, dass die Zuschauer das nicht schaffen.

Der Regisseur schließlich auch nicht. Sparsam freilich sind die Fenster, die er in den Text hineinschneidet, um auf die Gegenwart zu blicken. Dimitrij Schaad, der hauptsächlich den Pavian spielt, einen humpelnden Handlanger Shlinks und zugleich ein Agent des Chicagoer Syndikats, ist so als zwielichtige Figur eingeführt, bereit zu Verbrechen, aber weniger an ihren Gewinnen denn an ihrer Analyse interessiert. Er schert einmal aus zu einem Exkurs am seitlichen Mikrofon. Weg mit allen Hochbegabten, weg mit allen Institutionen, weg mit der Bildung, weg mit dem Staat, so ungefähr geht seine Rede, eine Paraphrase auf Trumps Chefideologen Stephen Bannon. Das ist ein Griff ins ganz Heiße, Gefährliche, Erschreckende. Doch wenn auch dem Schauspieler Schaad im Gestus die Verbindung zwischen Bannon und Brecht gelingt, die Inszenierung schafft ein solches Verhältnis zu Gegenwart nicht. Auch da nicht, wo es um Rassismus geht. Shlink wird von Garga in einer der vielen Volten ihrer Beziehung einem Lynchmob ausgeliefert, der nur zu gern hinter dem reich gewordenen Einwanderer her ist. Diese Keule packt Brecht im letzten Drittel des Stücks aus: Es wird aber auch in der Inszenierung nicht mehr daraus als der Versuch, für einen Kampf, für denen keine Gründe zu sehen sind, einen Grund zu erfinden.

Wieder am 30. März, 22. April