Das Ding, das kommt
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Mit Maulbeeren- oder Reispapier erschafft die Koreanerin Jungjin Lee eine ganz eigene Spielart archaisch analoger Fotografie, die jetzt in Wolfsburg zu sehen ist. Foto: Jungjin Lee

Stoffliches Eigenleben

Früher war nicht alles besser, stimmt schon. Aber in manch altem Handwerk entdecken wir heute einen künstlerischen Ausdruck, der uns wie aus einer anderen Welt erscheint. Als sich im 19. Jahrhundert die Fotografie als neues, auch journalistisches Medium etablierte, mussten die Lichtbildner mit vielen Helfern, Pferdegespann und Dunkelkammerkarren den Weltgeschehnissen hinterherreisen.

In ihren mobilen Laboren wurden dann in mehreren Gängen große Glasplatten mit lichtempfindlichen Emulsionen beschichtet, um anschließend, bei langer Belichtung mit der Plattenkamera, daraus Negative zu produzieren, die es sofort zu fixieren galt. Die häufig verwackelt unscharfen Motive wurden später auf ebenfalls von Hand beschichteten Positivträgern abgezogen, neben Papier auch präpariertes Leder oder Eisenplatten. Die fertigen Fotografien zeigten nicht nur die aufgenommene Szene: Die Stofflichkeit des Untergrundes entfaltete ein Eigenleben, das die ohnehin mit handwerklichen Zufällen gesegneten Bildergebnisse mit weiteren Effekten zierte.

Eine ganz persönliche Spielart archaisch analoger Fotografie pflegt die 1961 geborene Koreanerin Jungjin Lee. Sie sammelt dazu auf weiten Reisen fotografische Eindrücke melancholisch stillen Tenors: einzelne Pflanzen, die sich in unwirtlichen Bedingungen behaupten, statuarische Objekte, verlassene Architekturen oder bizarre Landschaftsformationen.

Aus ihnen entstehen dann in langen Liquid-Light-Prozessen die Positive – Abzüge wäre eine viel zu schnöde Beschreibung. Als Bildträger dienen große Formate handgeschöpften koreanischen Maulbeer- oder Reispapiers, mit lichtem­pfindlicher Emulsion handwerklich aktiviert, belichtet, dann in Form gereckt, flach getrocknet und mit einem Bogen desselben Materials verstärkt.

Auf den grobkörnigen dunklen Papieren fangen die Motive nun auf eine ganz magische Weise an, sich zu entfalten, entwickeln eine verblüffend dreidimensionale Tiefe und eine eigene Präzision in ihrer optischen Unschärfe. Aus gehörigem Abstand wirken sie meditativ, von Nahem reizen die nicht durch Glas geschützten Originale zum Anfassen – was natürlich verboten ist. Jungjin Lee studierte Keramik in Korea, in den 1990ern Fotografie in New York und fand dort im Schweizer Fotografen Robert Frank ihren Mentor. Der ermutigte sie zur eigenen Ausdrucksweise: westliche Abstraktion mit östlichem Gespür fürs Taktile.

Bettina Maria Brosowsky

Jungjin Lee: „Echo“. Städtische Galerie Wolfsburg, bis 5. Juni