Stimmung In Deutschland macht sich Unzufriedenheit breit. Warum?: Wollen. Fordern. Bekommen?
von Jan Feddersen
In der Kirche von Schleife wurde hart debattiert. Aber nicht bedacht, dass wir eine andere Sprache sprechen. Wir als taz-Delegation dachten vorher: Menschen in der Niederlausitz könnten sich über Klimawandel, Kohleabbau und Zukunftsfragen austauschen. Wir dachten an eine Diskussion über Vattenfall, Immobilienverscherbelung und militante Tagebaubaggerbesetzungen, Marke „Ende Gelände“.
Das Gotteshaus von Schleife war voll. Gewerkschaftsvertreter artikulierten ihre Interessen, Klimaschützer die ihrigen. Und dann sagte einer von uns taz-Moderierenden plötzlich das Killerwort. Aber das wussten wir erst hinterher: „Diskurs“. Für unsere Kreise, grün und alternativ und weltoffen, eine Art Kalauervokabel. Die Anderen, die uns nicht kannten schalteten auf Anhieb ab.
Immerhin lernten wir noch: Die Linien der Feindseligkeit in diesem Flecken der Republik sind nicht fundamental scharf gezogen. Man spricht miteinander, an diesem Abend sogar in einer Weise, die – erstmals seit den Unruhen durch „Ende Gelände“ im Sommer 2016 – die Streitenden einander zuhören lässt. Aber: Bewegen wir uns in Szenen, die nicht wie die eingeweihten Oberschlaumeier*innenkreise der alternativen Milieus funktionieren, sollten wir das Wort „Diskurs“ nicht benutzen. Nirgendwo.
Klingt hochnäsig, belehrend und: Die Leute, die nicht diskurstiefengestählt sind, schalten ab. Und das ist genau das, was wir mit unserem Projekt taz.meinland nicht wollen.
Ein Dutzend Veranstaltungen liegen hinter uns, und alle haben sie uns bewegt. Auf Rügen, wo herauskam, dass der Naziprunkkasten in Prora nicht mehr der Hotspot ist, weil er zu einem Ferienpark de luxe umgemodelt wird. Wir lernten: Rügen geht es gut. Wie so vielen Gegenden in der Bundesrepublik, gerade im Osten. Man hat alles gewollt und gefordert in den vergangenen Jahren – Schnellstraßen, Dorfumgehungsschneisen, und das bitte auch noch, ohne den Blick aufs Grüne zu zerstören. Und beklagt sich aber hernach, dass die Dörfer keine Postämter mehr haben, der öffentliche Nahverkehr ungefähr so dicht getaktet ist wie irgendwo in Kasachstan. So scheint sie zu sein, die Bundesrepublik im Wahlkreis Angela Merkels: satt geworden und doch stark unzufrieden. Alle hätten gern Bauernhöfe ohne Lärmbelästigung und am Ostseestrand: Betreten verboten.
Bis zur Bundestagswahl im September reist taz.meinland durch die Region, um ins Gespräch zu kommen und für die offene Gesellschaft zu streiten.
Wir wollen den Puls fühlen: Wo finden Probleme keine Lösung? Wie tickt es wie und warum?
Bis jetzt haben wir mit Hilfe lokaler Scouts rund zehn solcher Diskussionen veranstaltet, immer bemüht, viele „Stimmen“ an einen runden Tisch zu bekommen.
Wir wollen die aktive Zivilgesellschaft sichtbar machen – ein Echolot dieses (Wahl-)Jahrs.
Auf der Suche nach Befindlichkeiten des bundesdeutschen Lebens stößt man aber immer wieder auch auf das: Der Rechtspopulismus wird überschätzt. Eine Inszenierung der AfD, die nur so tut, als verkörpere sie die Stimme des Volkes. Uns kommt es so vor: Hass will niemand, eher, wie neulich in Crottendorf, sind allesamt ratlos, was die Zukunft sein könnte. Die eigene oder gleich die der Gemeinde, des Landes. Man ahnt, dass jeden Tag alles ein wenig anders, neuer, moderner wird. Ob diese Moderne schlecht ist oder auch gut, weiß man nicht einzuschätzen.
Am Schluss fragten wir in Crottendorf die Tonangeber des Dorfes, wie sie sich denn ihr Dorf in 30 Jahren vorstellen. Im fast vollbesetzten Saal des Hotels „Glashütte“ saßen ein Dutzend Flüchtlinge. Und niemand am runden Tisch sagte: Unsere Zukunft sitzt hier schon im Saal, es sind die neuen Bürger*innen, vor ihnen muss man sich nicht fürchten, denn unsere Vorfahren waren ja auch Einwanderer im Erzgebirge. Das war seltsam: Das Naheliegende nicht zu sehen. War das böse gemeint? Eher nicht. Man hat das Eigene auf eng gestellt – und sieht die Möglichkeiten nicht, die man schon jetzt in neuen Nachbarn hat.
Denn: Hass fehlt. Als sich AfD-Politiker meldeten, hörte man sie auf Anhieb heraus. Ihre Stimmen hatten giftige Timbres. Jemand sagte lapidar, durchaus unschön abweisend: Die kennen wir, die kommen nicht aus Crottendorf. Wir haben Atmosphären der Irritation spüren können, aber keine flammende Stimmung gegen alles Fremde. Das festzustellen stimuliert weiterzumachen – als taz on Tour für die offene Gesellschaft.
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