Die Furchtlose

SEHEN Gerda Schimpf (1913–2014) führte ein selbstbestimmtes Leben als Frau und Fotografin. Eine Schau in der Villa Oppenheim

Gerda Schimpf in den 1920er Jahren Foto: Fotograf unbekannt/Gerda Schimpf Fotoarchiv

von Lorina Speder

Die Villa Oppenheim in Charlottenburg zeigt bis zum 23. April eine zwar kleine, aber sehr bedachte Auswahl von Gerda Schimpfs Fotografien, persönlichen Briefen und Urkunden. Die in Dresden geborene Wahlberlinerin, Künstlerin und Fotografin Schimpf verkörpert weibliche Selbstbestimmung bis heute mit einer beeindruckender Nonchalance. Schimpf starb 2014 im Alter von 101 Jahren.

Mit der Ausstellung „Sehen lernen“ soll ihre Person wiederentdeckt werden. In einer Zeit, in der das World Economic Forum das Ende des Gender Pay Gap im Jahr 2186 sieht – also in 169 Jahren –, brauchen wir immer noch diese Beispiele von Frauen, die zeigen, dass das weibliche Geschlecht am Arbeitsmarkt, in der Kunst und überall gleichberechtigt agieren kann. Gerda Schimpf ist eines dieser Beispiele. Sie machte sich als Fotografin selbstständig und lebte ein unabhängiges Leben – und das in einer Zeit, in der es alleinstehende Frauen sehr schwer hatten.

Ihre Bilder in der Ausstellung zeigen Frauen im Arbeitsumfeld, besser: in sehr unterschiedlichen Arbeitsumfeldern. Man sieht die Aufnahme einer Krankenschwester im Jahr 1950, Fotografien einer Ärztin des Virchow-Klinikums, nebst einer britischen Alliierten – und auch ein Bild der ehemaligen Oberbürgermeisterin Berlins, Louise Schröder, ist zu sehen.

In der Junggesellinnenbude

Ihre Karriere als Fotografin und Künstlerin begann für Schimpf in Berlin. Im Jahr 1937 kam sie mit 24 Jahren in die Hauptstadt, nachdem ihre Pläne, Fotografie am Bauhaus in Dessau zu studieren, von dessen Schließung durch die Nationalsozialisten 1933 durchkreuzt wurden. Schimpf bezog nach der Meisterprüfung als Fotografin 1941 eine Wohnung für Alleinstehende in Charlottenburg. Das vom Architekten Hans Scharoun erbaute Apartmenthaus diente schon damals als moderne Wohnform für Junggesellen. Schimpf, die unverheiratet und kinderlos blieb, sollte bis zu ihrem Tod 2014 in dieser Wohnung leben. Sie begann Anfang der 1940er Jahre Porträtaufnahmen von Freunden und Kunden zu schießen, bevor sie sich 1946 mit ihrem eigenen Fotoatelier selbstständig machte.

Die Ausstellung beginnt mit einem Bild ihres Wohnzimmers. Ihre Freundin Eva Schwimmer, die zeitweise mit ihr im Apartment wohnte, wurde dort abgelichtet. Wie aufrichtig Schimpfs Beziehung zu ihrer Freundin und Wahlverwandten war, kann man in gleich drei Fotografien von der Grafikerin erkennen. Am intimsten ist das schwarz-weiße Porträt, das auf paradoxe Art unnahbar und vertraut die vielen Facetten Eva Schwimmers darstellt.

Auch Renée Sintenis, die Bildhauerin, deren berühmte Bärenstatur als Vorlage für den Berlinale-Bären diente, wurde von ihr fotografiert. Das Bild aus dem Jahr 1949 zeigt die nachdenkliche Künstlerin, die zu Boden guckt, mit einer Zigarette in der Hand. Ein Moment der Ruhe und Zeitlosigkeit, der hier von Schimpf eingefangen wurde.

Im Raum befinden sich zudem zwei Aufnahmen von der Fotografin selbst. In der Ecke des Kabinetts sieht man das Bild einer 101-jährigen alten Dame, die von innen heraus strahlt und keck von der Seite in die Kamera blickt. Diese Furchtlosigkeit und innere Lebensfreude kann man auch auf dem Bild aus den 1920er Jahren finden. Dort lacht Schimpf mit jugendlichem Elan und Kamera in der Hand wie auf dem Foto, das rund 90 Jahre später entstand. Es scheint, als ob Schimpf schon immer unbekümmert das tat, was sie für richtig hielt. Dadurch, dass sie für ihre Selbstbestimmung kämpfte und bis ans Lebensende keine Entscheidung bereute, wurde ein solches Leben ohne Rechtfertigung auch für jüngere Generationen ein bisschen mehr möglich. Die Frau, die sich selbst um das Zeigen ihrer Fotos nie bemühte und von den späten Fünfzigern an 19 Jahre als Fachlehrerin für Fotografie am Lette-Verein arbeitete, verdient es, auch offiziell ein Teil der Berliner Kulturgeschichte zu werden.

„Sehen lernen. Die wieder zu entdeckende Fotografin Gerda Schimpf“. Villa Oppenheim, Schlossstraße 55/Otto-Grüneberg-Weg, Charlottenburg. Heute um 18 Uhr Werkstatt­gespräch mit Christine Kahlau und Irja Krätke