„Dürfen sie nicht in den Tod schicken“

Landtagswahl Als Friese gehört Lars Harms, der Spitzenkandidat des SSW, selbst einer Minderheit in Schleswig-Holstein an. Er könne die Bedürfnisse von Geflüchteten daher besser verstehen als die Mehrheitsgesellschaft

Sieht die Gesundheitskarte für Flüchtlinge als Muss: SSW-Spitzenkandidat Lars Harms Foto: Carsten Rehder/dpa

Interview Sven-Michael Veit

taz: Herr Harms, fühlen Sie sich eigentlich als Friese, Schleswig-Holsteiner, Däne, Deutscher oder Europäer?

Lars Harms: Ich bin eindeutig Friese, deutscher Staatsbürger friesischer Nationalität. Ich spreche außer Deutsch und Friesisch auch Platt und Dänisch und liebe alle meine Kulturen. Insofern bin ich auch Europäer.

Sie betrachten Schleswig-Holstein, in dem Sie und der SSW mitregieren, aus dezidiert friesischer Perspektive?

Sicher habe ich eine friesische Sichtweise. Wenn es zum Beispiel um die Bedeutung des Küstenschutzes geht …

Gott schuf das Meer, der Friese die Küste, wie es so schön heißt?

Ja, das gehört zur friesischen Sichtweise. Ein gewisser Grad an Bodenständigkeit ist schon dabei.

Sehen Sie kulturelle Identitäten als Bereicherung, gerade für ein Land wie Schleswig-Holstein?

Jedwede kulturelle Identität ist eine Bereicherung, das darf man niemandem absprechen. Dem Zuwanderer aus Italien ebenso wenig wie dem Flüchtling aus Syrien oder Afghanistan. Die dürfen bei aller geforderten Integration in Deutschland ihre kulturellen Identitäten behalten und pflegen.

Warum sind Sie Mitglied in einer Wohnungsgenossenschaft der Sinti?

Diese Genossenschaft wurde 2005 gegründet, um eigenständiges, gemeinschaftliches Wohnen für Sinti und Roma zu ermöglichen. Und da fühlte ich mich angesprochen, aus Solidarität unter den Minderheiten – und nicht nur als Politiker – zum Gelingen ein bisschen was beizutragen. Und es ist ein Leuchtturmprojekt für ganz Deutschland geworden, was da in Kiel-Gaarden entstanden ist.

Haben Sie und der SSW, einen speziellen Blick auf Minderheitenfragen, auf Migration, auf Flüchtlingspolitik?

Ja, eindeutig. Minderheiten in Deutschland müssen geschützt und gefördert werden, da gibt es für uns als SSW keine Diskussion. Weil wir aber fast alle zwei oder drei Identitäten in uns haben, verstehen wir, denke ich, besser als die deutsche Mehrheitsgesellschaft Menschen, die aus anderen Teilen der Welt zu uns kommen. Wir verstehen ihre Bedürfnisse und Anliegen. Kulturelle Identitäten müssen geachtet und dürfen nicht beschnitten werden.

Sie wollen soziale und kulturelle Integration ohne Gegenleistung fördern?

Die Abkürzung steht für Süd­schleswigscher Wählerverband, auf Dänisch Sydslesvigsk Vælgerforening und Nordfriesisch Söödschlaswiksche Wäälerferbånd.

Die Partei tritt im Landesteil Schleswig für den Landtag an. Sie versteht sich als Interessenvertretung der dänischen Minderheit und als Vertreterin der „Nationalen Friesen“, die sich als eigene Volksgruppe in Nordfriesland begreifen.

Als Partei nationaler Minderheit ist sie von der Fünf-Prozent-Hürde befreit.

Seit Juni 2012 ist der SSW erstmals in Regierungsverantwortung.

Nein. Es muss eine klare Ansage geben, welche Grundwerte hier in Deutschland, in Schleswig-Holstein gelten. Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Gleichberechtigung von Mann und Frau, Toleranz gegenüber jedweden Minderheiten – das sind Prinzipien, die respektiert werden müssen. Auch von Menschen, die diese aus ihren Kulturkreisen so nicht kennen. Zugleich aber müssen sie ihre eigene Kultur behalten und leben dürfen.

Schwerpunkte des SSW-Wahlprogramms sind Integration, Bildung und Soziales. Sie stehen zum Beispiel für ein humanitäres Bleiberecht und die kostenlose Gesundheitskarte für jeden Flüchtling.

Die Gesundheitskarte für Flüchtlinge ist ein Muss. Es ist absolut sinnvoll, sie aus der Solidargemeinschaft heraus zu finanzieren, gern auch zusätzlich mit Steuergeld. Es kann nicht sein, dass eine Behörde entscheidet, ob ein Flüchtling eine medizinische Behandlung bekommt oder nicht. Dafür sind Ärzte da, und deshalb ist die Gesundheitskarte notwendig.

Und das Bleiberecht?

Das humanitäre Bleiberecht ist in weiten Teilen Fakt und wird nur noch von Menschen bestritten, die nicht guten Willens sind. Flüchtlingen, die seit Jahren und Jahrzehnten mit einem unsicheren Aufenthaltsstatus hier leben, obwohl alle wissen, dass sie nicht in ihre Heimat zurückkehren können, müssen wir eine dauerhafte Perspektive bieten. Und wir müssen ihnen frühzeitig Bildung, Ausbildung und Arbeit ermöglichen. Das gilt gerade auch für Afghanen: Wir können und dürfen sie nicht zurückschicken in den wahrscheinlichen Tod. Sie haben dort keine Perspektive. Also müssen wir sie ihnen hier ermöglichen.

Sie wollen nach der Landtagswahl die Koalition mit SPD und Grünen weiterführen?

Ja. Andere Optionen kommen für uns nicht infrage.

Aber dann bindet sich der SSW an das Schicksal von SPD und Grünen: Wenn es mit denen nicht zum Weiterregieren reichen sollte, habe Sie keine Alternative – SPD und Grüne aber schon.

Der SSW bindet sich an seine politischen Vorstellungen. Die sind nur mit SPD und Grünen umsetzbar, mit den anderen Fraktionen nicht. Es ist besser, in die Opposition zu gehen, als seine Prinzipien für die Macht zu opfern.

Lars Harms

52, ist Betriebswirt, Fraktionsvorsitzender des SSW im Kieler Landtag und Spitzenkandidat für die Landtagswahl am 7. Mai.

Wer SSW wählt, wählt Dänenampel oder Opposition? Kein dritter Weg?

So ist es.

Aber ihre jetzigen Partner haben andere Optionen.

Wer SPD wählt, bekommt vielleicht die Ampel oder die Große Koalition, eine Stimme für die Grünen kann eine Stimme für Schwarz-Grün oder Jamaika sein. Bei uns ist der Kurs klar.

Falls es zur Fortsetzung der Koalition in Kiel reicht: Welches Ministeramt streben Sie als Spitzenkandidat an?

Der SSW wird sicher wieder ein Ressort beanspruchen. Welches das sein wird, und mit wem es besetzt wird, sehen wir dann.