der rote faden
: Uuungerechtigkeit liegt in der Luft

nächste wochesaskia hödl Foto: Sebastian Wagner

durch die woche mit

Nina Apin

Lebensführungskeule

Gerade sind Gerechtigkeitsdebatten das große Ding. Wer zu Hause Kinder hat, braucht dazu nicht mal einen Schulz. Jeden Tag werden mit dem Schlachtruf „Uuungerecht!“ gefühlte und tatsächliche Schieflagen im Familiengefüge thematisiert. Kind eins durfte im Hort einen Film gucken – ist damit Kind zwei zu zusätzlichen Medienminuten am Abend berechtigt? Und wenn Kind zwei am Wochenende zu einer Fete eingeladen ist, berechtigt das Kind eins dann zur Naschkompensation? Solche Sachen. Als Eltern versucht man dann entweder CDU-mäßig die Gerechtigkeitslücke mit Leistungslogik wegzureden: „Weil deine Schwester als Schulkind Kopfarbeit leistet, darf sie auch länger fernsehen.“ Oder man packt nach Art der Grünen die moralische Lebensführungskeule aus: „Du bist drei Jahre jünger, für dich ist Fernsehen noch schädlicher. Und weil ihr beide eh zu viel Zucker esst, gibt es ab sofort Birchermüsli zum Frühstück.“

Familienagenda

Und jetzt raten Sie mal, was am besten ankommt? Natürlich die SPD-Methode. Kleine schulzhafte Korrekturen am Regelsystem (einmalig längerer Bezug von Rundfunkleistungen, aber danach ist Schluss – für alle) bei gleichzeitigem Festhalten an der Familienagenda (Kuchen und Medien bleiben Extraleistungen). Das Geschickte an der Methode: Kurzfristig kehrt Frieden ein, da fällt nicht auf, dass sich an der eigentlichen Ungerechtigkeit nichts ändert. Populismus hat kurze Beine, aber erst mal laufen alle mit in die gewünschte Richtung.

Bewegungskompetenz

Dass mit den Grünen nur noch wenige mitlaufen wollen – 6,5 bis 8 Prozent, sagen Umfragen –, liegt wohl vor allem daran, dass Uuungerechtigkeitsfragen nicht ihr Hauptanliegen sind. Zumindest nicht die sozialen. Was bürgerrechtliche Sauereien angeht, kann man der Partei kein mangelndes Engagement vorwerfen. Siehe Edward Snowden. Siehe Deniz Yücel – die Solidaritätskundgebung für den inhaftierten Welt-Korrespondenten am Dienstag hat der Grünen-Bundestagsabgeordnete Özcan Mutlu organisiert. Leider holperte die Aktion vor der türkischen Botschaft ziemlich: Die Reden von Cem Özdemir und anderen waren kaum zu verstehen, der Autokorso wurde auf halbem Weg zur Demo gestoppt. Die an den hell erleuchteten Botschaftsfenstern stehenden Figuren dürfte es gefreut haben, dass der Protest so schnell vorbei war. Unter den Demonstrierenden wurde jedenfalls viel gewitzelt, dass die „Bio-FDP“ nicht mehr genug Bewegungskompetenz besitze, eine ordentliche Demo zu organisieren. Immerhin dürfte es das erste Mal gewesen sein, dass taz- und Springer-Mitarbeiter gemeinsam demonstrierten – und alle trugen vom Springer-Konzern gesponserte Protest-T-Shirts. Obwohl auf dem Shirt eigentlich nicht nur „Free Deniz“ hätte stehen sollen, sondern „Free them all“ – alle rund 150 ReporterInnen und RedakteurInnen, die in türkischen Gefängnissen sitzen. Der Gerechtigkeit wegen.

Bindestrichschwäbin

Am Mittwoch und Donnerstag schafften es zwei neue Ungerechtigkeiten in die Medien: Immer mehr Menschen können nicht von ihrer Arbeit leben, sagt der Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands; und eine Studie zeigte, dass Jugendliche mit ausländischem Pass mehr als doppelt so oft ohne Schulabschluss bleiben wie ihre passdeutschen AltersgenossInnen. Während das erste Thema breit diskutiert wurde, blieb das zweite unbegreiflicherweise eine Randnotiz auf den Inlandseiten.

Über das Gefühl, als Kind von Einwanderern „permanent rausdifferenziert zu werden aus der deutschen Gesellschaft“, redete am Donnerstag die Autorin ­Jagoda Marinić in der baden-württembergischen Landesvertretung in Berlin. Im Gespräch mit taz-Chefredakteur Georg ­Löwisch ging es ums Deutschsein, unsere Sprachlosigkeit für Einwandererbiografien und um die Suche nach einem gemeinsamen deutschen Narrativ, das alle mitnimmt. Althergebrachte Regionalnarrative wie die folkloristischen Frotzeleien zwischen Württembergern und „Badensern“, wie sie der Badener Löwisch auf dem Podium auszupacken versuchte, perlten an der Bindestrichschwäbin ab. Marinić, deren Eltern aus Kroa­tien einwanderten, schlug als große gemeinsame Erfolgsgeschichte das „Made in Germany“ vor – an der deutschen Nachkriegsmarke hätten ihre Eltern schließlich genauso mitgebaut.

„Ich muss nicht alles verstehen, aber ich will wissen, worüber ihr redet“, insistierte am nächsten Morgen auch die Tochter, als wir versuchten, an ihr vorbei die Nachrichtenlage zu diskutieren. Inhaftierte Journalisten als Geiseln für ausgeladene türkische Wahlkämpfer? „Ungerecht“, lautet ihr Fazit. So ein Schulz-Kostüm hätte ihr an Fasching auch gut gestanden.