WM-Krawalle in Vegesack vor Gericht

PROZESS In dem Verfahren wegen der Massenschlägerei nach der WM 2014 am Bahnhof Vegesack wurde die Öffentlichkeit ausgeschlossen – einer der vier Angeklagten ist noch minderjährig

„Drinnen haben die Leute gesessen und gezittert“

Peter Nowack (SPD), Ortsamtsleiter Blumenthal und Augenzeuge

9 Uhr, Große Jugendstrafkammer des Bremer Landgerichts. Vier Angeklagte sitzen da, türkische Namen, zwei von ihnen haben einen deutschen, zwei einen türkischen Pass. Sie sind zwischen 17 und 41 Jahre alt und angeklagt, aktiv an den „Krawallen“ nach der Fußball-Weltmeisterschaft im Juli 2014 in Vegesack beteiligt gewesen zu sein.

Zweieinhalb Jahre hat es gedauert, bis sie wegen Landfriedensbruchs auf die Anklagebank kamen. Auf Antrag der Verteidigerin des 17-Jährigen wird die Öffentlichkeit ausgeschlossen – vor der Verlesung der Anklageschrift.

Die Öffentlichkeit wird also nicht erfahren, was die polizeilichen Ermittlungen ergeben haben – es könnte der weiteren Entwicklung ihrer Persönlichkeit schaden, wenn die Angeklagten stigmatisiert und sie an den Pranger gestellt würden, so die Begründung der Richterin.

In jener Nacht vor zweieinhalb Jahren fuhren auch über den Bahnhofsplatz Vegesack die hupenden Fußball-Fans, ausgelassen und über die Stränge schlagend. Vielleicht war es das, was eine Gruppe Jugendlicher so provozierend fand: Sie begannen, einzelne Autos anzuhalten, zu „schaukeln“.

Die jungen Männer griffen auch Streifenwagen an – die Polizisten brachten sich in Sicherheit. Auf dem Bahnhofsplatz entbrannte eine Massenschlägerei. Einige der Fußballfans flüchteten in die Gaststätte „Muddys“ – und verbarrikadierten die Tür, als die Angreifer eindringen wollten.

Bei der ersten Angriffswelle war der Blumenthaler Orts­amtsleiter Peter Nowack (SPD) Augenzeuge auf dem Bahnhofsplatz. „Die waren gut organisiert“, erinnert er sich: „Auf ein Kommando sind alle losgerannt.“ Als die Gruppe abgezogen war, ging auch er ins „Muddys“, wollte dort die WM-Nacht feiern. Dann plötzlich aber kamen sie wieder.

„Die fröhliche Stimmung schlug in blanke Panik um“, erinnert sich Nowack. „Drinnen haben die Leute gesessen und gezittert.“ Stühle und Tische der Außengastronomie wurden gegen die Fensterscheiben geworfen. Die Tür hielt stand. Plötzlich zog die Gruppe wieder ab. „Die Situation ist unerträglich. Das Nicht-Eingreifen kratzt an unserer Berufsehre“, erklärte Polizeipräsident Lutz Müller später. Aber so viel Polizei könne es gar nicht geben, um so etwas zu verhindern. „Wir sind nicht der Reparaturbetrieb der Gesellschaft“, erklärt er und sprach von „Auswüchsen der Eventgesellschaft“ und von „Clan-Kriminalität“.

„Für mich ist das nicht nur Landfriedensbruch, sondern schwerer Landfriedensbruch gewesen. Das würde Gefängnisstrafe bedeuten“, sagt Nowack, der bekannt dafür ist, eine härtere Gangart zu fordern, Strafen, die die Täter ernst nehmen.

Gleichzeitig rechnet er aber nicht damit – so lange nach den Vorfällen werden die Zeugen Mühe haben, einzelnen Angeklagten die Taten noch präzise zuzuordnen. KAWE