Ohrfeigen für alle

ABGAS EU-Parlament beendet Ausschuss zu Dieselgate:EU-Kommission und Länder haben versagt. Warnungen wurden ignoriert, Sanktionen nicht verhängt

Mohammed Ibrahim

ist der Generalsekretär für die Gewerkschaftsföderation BGIWF in den Kreisen Ashulia, Savar und Dhamrai, wo es viele Textilfabriken gibt.

Von Bernhard Pötter

BERLIN taz | Mit schweren Vorwürfen an die EU-Kommission und die EU-Mitgliedstaaten hat der Untersuchungsausschuss des Europaparlaments (EP) auf die Abgasaffäre der Autoindustrie reagiert. Die Behörden der Länder und der EU seien früh alarmiert gewesen, hätten aber nur unzureichend reagiert, die Länder die Verfahren verschleppt. „Die existierenden Verwaltungsstrukturen im Autosektor verhindern die effiziente Durchsetzung der EU-Gesetze“, ist das Fazit der Untersuchungskommission Emis, die gestern in Brüssel ihren Bericht verabschiedete. Im April soll das Plenum den Report diskutieren.

Nach dem Bekanntwerden des VW-Skandals im September 2015 hatte ähnlich wie der Bundestag auch das EP eine Untersuchungskommission eingesetzt. 45 Parlamentarier beschäftigten sich ein Jahr lang mit dem Thema. Ihr Bericht enthält mehrere Ohrfeigen für die Verantwortlichen in Brüssel und den Mitgliedstaaten. So sei der Verstoß gegen die Stickoxid-Grenzwerte bereits seit 2004/2005 bekannt gewesen, aber den unzulänglichen Tests oder den „Optimierungsstrategien“ der Autobauer zugeschrieben worden. Nach verbotenen „Abschalteinrichtungen“ wie bei VW sei nirgendwo gefahndet worden. Und ob die „Thermo­fenster“ legal seien, mit der andere Hersteller immer noch ihre Motoren zu hohe NOX-Werte ausstoßen lassen, werde in „Untersuchungen und vor Gericht“ geklärt.

Insgesamt acht Mal konstatiert der Bericht „Maladministration“ – also Behördenversagen. So „verletzten die EU-Regierungen ihre Rechtspflichten“, weil sie – vor allem Deutschland, Italien, Frankreich und Luxemburg – Hinweise auf Abgas-Betrug bei den Konzernen ignorierten.

Auch ignorierten sie die Interessenkonflikte zwischen den Überwachungsstellen und den Autokonzernen, von denen diese wirtschaftlich abhängen. Vor allem aber „haben die Mitgliedstaaten den Autoherstellern weder finanzielle noch juristische Strafen auferlegt“, kritisieren die Parlamentarier. „Es gab keine verpflichtenden Rückrufaktionen oder Umrüstungen, keine Typenzulassung wurde entzogen“, alle Konsequenzen aus dem Skandal blieben freiwillige Leistungen der Autokonzerne. „Deshalb haben die Mitgliedstaaten ihre Verpflichtung gebrochen, das EU-Recht bezüglich Autoabgasen umzusetzen“, heißt es in dem Papier.

Aber auch die Kommission bekommt scharfe Kritik ab. Sie hätte die Länder viel stärker drängen sollen, realistische Tests zu entwickeln und die Behörden besser zu überwachen. Dazu besetzte sie Expertengremien überwiegend mit Autoherstellern und führte keine ordentlichen Protokolle dieser Treffen.

„Behördenstrukturen im Autobereich verhindern Durchsetzung von EU-Recht“

Bericht Untersuchungskommission

Die grüne EU-Parlamentsabgeordnete Rebecca Harms, selbst Mitglied im Emis, begrüßte den Bericht des Gremiums, kritisierte aber, dass die bestehende Autoflotte nicht nachgerüstet werden solle. In letzter Minute stimmte der Ausschuss noch einem Passus zu, der die Einführung der „Konformitätsfaktoren“ kritisierte. Durch diese umstrittene Maßnahme habe die EU-Kommission ihr Mandat überschritten und „gegen EU-Recht verstoßen“, heißt es nun.

Nach Bekanntwerden des Skandals hatten die Autokonzerne darauf gedrängt, die entsprechende EU-Vorschrift aus dem Jahr 2007 zu ändern. Dort steht, dass die Autos ab 2017 nicht mehr als 80 Milligramm Stickoxid pro Kilometer ausstoßen dürfen – ein Wert, den kaum ein Dieselauto unter realistischen Bedingungen erfüllt. Deshalb setzten die Hersteller den „Konformitätsfaktor“ von 2,1 durch. Das heißt: Auch Autos, die 2,1-mal so viel wie den Grenzwert an NOX ausstoßen, dürfen noch zugelassen werden.

Die Forderung der industriekritischen Gruppe CEO gehen noch weiter: Nach ihrem Bericht „Driving into Desaster“ solle die EU ihre sogenannte Better-Regulation-Politik aufgeben. Diese habe unter dem Vorwand des Bürokratieabbaus dazu geführt, dass sich Unternehmen praktisch selbst kontrollieren könnten. „Die Regeln wurden geschwächt und wichtige Verantwortlichkeiten den Regulierern weggenommen und in die Hände der Autoindustrie gelegt“, schreiben die Kritiker. „Die kommerziellen Interessen der Industrie bekamen Priorität gegenüber den Interessen der Allgemeinheit.“