Schön düster ist das alles geworden

TheaterRegisseur Sebastian Hartmann nimmt sich am Deutschen Theater trefflich der „Gespenster“ von Henrik Ibsen an

Elternkonflikte, Todessehnsucht. Regisseur Sebastian Hartmann hat, nachdem er sich noch im letzten Herbst an selber Stelle, dem Deutschen Theater, ziemlich an Döblins „Berlin Alexanderplatz“ verhoben hat, in Henrik Ibsens „Gespenster“ genau den Stoff gefunden, um seinen morbiden Leidenschaften zu frönen. Ein moribunder Künstler, ohne Vater aufgewachsen, kriecht nach ausschweifenden Jahren im Moloch Paris zurück in den Mutterschoß, um in Ruhe an den Folgen einer vererbten Syphilis sterben zu können.

Schön düster ist das alles geworden. Die Kostüme (Adriana Braga Peretzki) sind in Schwarz gehalten. Der Soundtrack von Ben Hartmann und Philipp Thimm ist feedbackorientierte, schwermütige Gitarrenmusik. Linda Pöppel singt eingangs etwas Heinrich Heine („Deutschland. Ein Wintermärchen“) darüber, womit klar wird, dass hier nach Deutschland zurückgekehrt wird und nicht ins noch kargere Norwegen. Später wird der unterkühlte New-Wave-Hit „A Manner of Speaking“ von Tuxedomoon nach der Version von Nouvelle Vague gespielt.

Über die Kulissen laufen schön triste Bilder von Dörfern und Häusern (Videos: Tilman Baumgärtel). Und, um eine Gegenkraft zur Mutter-Sohn-Geschichte zu schaffen, wird August Strindbergs „Der Vater“ herangezogen: eine Geschichte über Ehebruch und Vaterschaft aus Zeiten, in denen Vaterschaftstests noch nicht geboren waren. Gespenstisch, das alles.

Sebastian Hartmann hat es sich und dem aufmerksamen Publikum gegeben: Düsternis, Kälte, Todessehnsucht, Elternkonflikte, wir sagten es bereits.Und diesmal funktioniert es. Ibsen, der sich gegen Gegenwartsbezüge genauso sperrt wie Strindberg und an dem sich schon Armin Petras an selber Stelle vergeblich mühte („Nora“), wird von Hartmann heruntergebrochen auf den Grundkonflikt, den Almut Zilcher und Edgar Eckert mitsamt inzestuösen Andeutungen bis zum bitteren Ende durchspielen. Sohn/Mutter, viel mehr braucht es von dem Originalstück nicht. Die norwegischen Probleme mit der Ehe und der Moral, der Kirche und dem modernen Weltgeist bleiben außen vor, geistern höchstens ein bisschen durchs Stück, wie so manch anderes hier auch herumspukt, nicht immer sinnhaft, nicht immer stringent, aber macht nichts, denn die „Gespenster“ in dieser Fassung sind sozusagen ein Atmo-Stück; ein Stück, das von der Atmosphäre lebt.

Der Künstler und die Eltern. Die Tochter und die Frage nach dem Vater. Die Wiederkehr als Heimsuchung. Das Ensemble ist stets auf der Höhe, Katrin Wichmann und Felix Goeser sind inzwischen ein eingespieltes Team, sie geben die Strindberg’schen Eltern; Linda Pöppel die zum Wahnsinn neigende Tochter. Markwart Müller-Elmau hat eine gute Szene als Pfarrer, der sich gegen die dreifaltige Frau (Wichmann/Pöppel/Gabriele Heinz) behaupten muss.

Wie überhaupt immer wieder Lockerungsübungen stattfinden, exzessive Szenen sich mit Bühnentricks, mit Musik, mit Ironie und Metaverweisen („Ich spiele immer dieselbe Szene!“, sagt Mutter Zilcher) abwechseln – erprobtes Collagentheater, das sonst oft ins Sinnlose auszuufern droht, hier aber in jedem einzelnen Teil funktioniert.

Den Gespensterdiskurs, der im Hintergrund herumspukt, (Hauntology, Derrida, Mark Fisher, Freud und Marx) braucht es fast nicht. Der interessiert Hartmann auch nicht groß. Fraglich bleibt, wohin das noch alles führen soll. Irgendwann muss doch Erde drüber über die Sache mit der Kunst und den Eltern. Oder etwa nicht? René Hamann